Süddeutsche Zeitung

Nach einer Studie werden zu viele Einfamilienhäuser gebaut:Bauen im Konfliktbereich

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Der Paragraf 34 des Baugesetzbuches regelt, wie innerorts gebaut werden darf, wenn es keinen Bebauungsplan gibt. Über die Auslegung gibt es verschiedene Meinungen. Vor allem zum Thema Verdichtung. Oft entscheiden Gerichte

Von Gerhard Wilhelm, Erding

Wenn Bauunternehmen innerorts eine Wohnanlage errichten wollen, stoßen sie oft auf Widerstand: Es ist natürlich in ihrem Interesse, den vorhandenen Bauraum maximal auszunützen und möglichst viele Wohnungen zu bauen, in den Gemeinde- und Stadträten steht man einer sehr dichten Bebauung jedoch oft mit Skepsis gegenüber. Auslöser von Streits über zu dichtes Bauen ist der Paragraf 34 des Baugesetzbuches, der die Zulässigkeit von Vorhaben innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile" regelt.

Nach einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln werden in Deutschland zu viele Einfamilienhäuser gebaut. Insgesamt würden im Bundesgebiet bis 2020 pro Jahr 385 000 neue Wohnungen benötigt, aber nur 250 000 gebaut. Vor allem aber entstünden zu viele Objekte mit mehr als fünf Zimmern, also Ein- und Zweifamilienhäuser. "Wir bauen auf dem Land viele Einfamilienhäuser, die einen Leerstand der Zukunft bedeuten könnten", sagt Michael Voigtländer vom Institut. Der Wohnraummangel in den großen Städten sei gravierend, vor allem bei den Wohnungen mit zwei und drei Räumen. Er empfiehlt, vor allem dichter zu bauen oder aufzustocken. Auch im Hinblick auf den im Vergleich hohen Flächenverbrauch von frei stehenden Ein- und Zweifamilienhäusern.

Wie sich Wohnraummangel auch ausdrückt, kann man in der Boom-Region München und damit auch im Landkreis Erding sehen: Die Mieten steigen von Jahr zu Jahr. Viele Menschen brauchen zwei Jobs, um über die Runden zu kommen. Und ältere Menschen müssen wegziehen, weil sie sich mit ihrer Rente die Wohnungen nicht mehr leisten können. Und der Kauf oder Bau von Wohneigentum in Form von Einzel-, Doppel- oder Reihenhäusern wird für Normalverdiener fast unmöglich.

Wie verdichtetes Bauen fast reflexartig in Gemeinderäten negativ gesehen wird, war jüngst im Gemeinderat Wartenberg zu sehen. Auf der Tagesordnung stand eine Bauvoranfrage für zwei Mehrfamilienhäuser am Ortsrand an der Ecke Robert-Weise-Straße/Moosburger Straße. Laut Bauträger wird das Baurecht nach Paragraf 34 erfüllt. Auch das Landratsamt habe sich damit einverstanden gezeigt und als Vergleich die Bebauung auf der gegenüberliegenden Seite der Moosburger Straße herangezogen, wo ebenfalls so dicht wie geplant gebaut worden sei, sagte Wartenbergs Bürgermeister Manfred Ranft (FW) den Gemeinderäten. In der Sitzung wurde aber schnell klar, dass sich wegen der dann "zu dichten Bebauung, die nicht dem Ortsbild entspreche", keine Mehrheit finden würde - obwohl noch nicht einmal bekannt war, wie viele Wohnungen entstehen sollen. Jetzt soll für das kleine Gebiet ein eigener Bebauungsplan aufgestellt werden, um alles Punkt für Punkt reglementieren zu können.

Doch nicht alle Kommunen sind gegen eine Verdichtung - vor allem wenn der Siedlungsdruck zu groß wird. Durch die Verkehrsbelastung der beiden Bundesstraßen B 15 und B 388 sei Wohnen im Ortskern mit der Zeit zunehmend verdrängt worden, sagt Franz Hofstetter (CSU), Bürgermeister von Taufkirchen. "Die Gemeinde hat hier insofern dagegen gesteuert, dass eine dichtere Bebauung im Bereich der Ortsmitte durch eine entsprechende Bauleitplanung unterstützt wurde. So entstanden in den letzten Jahren viele Wohnungen an der Dorfener Straße (Wohnanlage Filusa), am Pfarrweg (ehemaliger Kindergarten) sowie zwischen Kirchlerner Weg und der Erdinger Straße." Mit dieser Nachverdichtung im Ortskern solle insbesondere auch der Einzelhandel gestärkt und gegebenenfalls auch weiter ausgebaut und verbessert werden, sagt Hofstetter. Bei Grundstücken, die im Einheimischenmodell vergeben werden, würden zwar auch weiterhin Einzelhäuser ausgewiesen, "aus Gründen des flächensparenden Bauens wird sich die Ausweisung aber zunehmend auf Doppel- und Reihenhausgrundstücke erstrecken".

Die Stadt Dorfen hat sich sogar ein Baulückenkataster zugelegt, wie Bauamtsleiter Franz Wandinger sagt. 88 bebaubare Flächen - nach Paragraf 34 und durch Bebauungspläne abgedeckt - gibt es im Stadtgebiet. Dorfen würde sie gerne auch realisiert sehen, um dem Preisdruck bei Mieten und Wohnungsbau etwas zu reduzieren, aber die meisten Grundstücksbesitzer würden nicht so recht mitziehen. "Viele wollen die Grundstücke für ihre Kinder oder Enkel aufheben oder hoffen auf ein weiteres Steigen der Baulandpreise. Wenn jemand aber bauen will, würden wir ihm vielleicht sogar entgegen kommen", sagt Wandinger. So ganz freiwillig wurde das Kataster nicht angelegt. Das Landratsamt habe die Stadt ermahnt, nicht mehr zu sehr in der Fläche zu wachsen, gibt der Bauamtsleiter zu.

Das Landratsamt Erding weist darauf hin, dass der Gesetzgeber innerörtliche Verdichtungen begrüße, vor allem in jenen Bereichen, wo diese auch städtebaulich verträglich seien und Sinn machten. "Dadurch werden die Zersiedelung der Landschaft und tendenziell auch der Flächenverbrauch reduziert sowie zugleich die Infrastruktureinrichtungen der Gemeinden (zum Beispiel Straßen, Kanalsystem) aufgrund besserer Auslastung effektiver genutzt", teilt Pressesprecherin Claudia Fiebrandt-Kirmeyer mit. Sollte, wie in Wartenberg, die Kommune der Meinung sein, dass die gewünschte Bebauung zu dicht sei, habe der Gesetzgeber die Möglichkeit der Entwicklung von Bebauungsplänen der Innenentwicklung gemäß Paragraf 13a Baugesetzbuch geschaffen. Bei Beachtung gewisser Vorgaben könnten diese sodann in einem zeitlich verkürztem, sogenannten "beschleunigten Verfahren" durchgeführt werden.

Die Stadt Erding sieht durch die laufende Rechtsprechung zum Paragraf 34 die Vorgaben ziemlich exakt definiert und richte sich danach, sagt Pressesprecher Christian Wanninger. Das Bauamt der Stadtverwaltung würde deshalb entsprechende Anträge nur in enger Abstimmung mit den betroffenen Bürgern behandeln und dann entsprechend der vorliegenden Rechtsprechung entscheiden. Oberbürgermeister Max Gotz (CSU) sieht Bebauungen nach dem Paragraf 34 durchaus kritisch, wenn auch in der Stadt an vielen Stellen Beispiele zu finden seien. "Letztlich muss man es nehmen, wie es kommt. Aber man muss auch sehen, dass sich durch das dichte Bauen das Kleinklima verändert, zum Beispiel die Stadtbelüftung. Die Menschen rücken immer näher zusammen, Sichtbeziehungen verschwinden. Dadurch verändert sich die gewachsene Struktur der Stadt."

Jürgen Rank, Geschäftsführer von Bauträger und Immobilien Robert Decker in Dorfen, hat unterschiedliche Erfahrungen gemacht. "In der Regel ist es so, dass in größeren Kommunen verdichtetes Bebauen einfacher ist. Dorfen hat es sich zum Beispiel auf die Fahnen geschrieben." Am häufigsten würde er hören, dass man sich Sorgen um das Ortsbild mache oder dass die Gemeinde nicht zu sehr wachsen wolle. Und dann seien in den Köpfen vieler oft Bilder von massiven Baukörpern, die sie irgendwo mal gesehen haben und dann beim Wort verdichtetes Bauen abgerufen werden. "Ich kann die Sorgen und Ängste der Nachbarn verstehen, aber Paragraf 34 nimmt nur die vorhandene Bebauung im Umfeld zum Maßstab, das neue Bauvorhaben muss ich einpassen." Wenn Jürgen Rank die Wahl hat zwischen Paragraf 34 oder Bebauungsplan, "dann würde ich mich natürlich für den 34er entscheiden, weil man da schon Baurecht hat. Der Bebauungsplan dauert in der Regel ein bis zwei Jahre".

Auch Rosmarie Rauch, Geschäftsführerin von Grasser Immobilien, hat gute und schlechte Erfahrungen mit dem Paragraf 34 gemacht. "Wenn man danach bauen will, weiß man nie, was letztlich erlaubt wird. Das hängt immer ein wenig von der Kommune ab, da der Paragraf viele Interpretationen zulässt. Mit dem Landratsamt Erding klappt die Zusammenarbeit gut. Bei anderen Kommunen im Landkreis kann es sein, dass wir ins Bebauungsplanverfahren müssen. Und das kann Jahre dauern zuletzt."

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SZ vom 24.02.2017
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