Nach der Messerattacke:Krisenfest und couragiert

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Wie im Hofmiller-Gymnasium versucht wird, die Ereignisse vom Mittwoch zu verarbeiten

Kerstin Vogel

Die wichtigste Nachricht ist, dass es ihr ganz gut geht: Die 16-jährige Schülerin, die am Mittwoch im Hofmiller-Gymnasium von einer Klassenkameradin angegriffen und mit einem Messer schwer verletzt wurde, ist wieder zu Hause. Mitschüler haben sie schon besucht, ein Blumenstrauß von Kultusminister Ludwig Spaenle ist eingetroffen und der Klassenlehrer der 10 d, in der sich das Drama abgespielt hat, wollte am Freitagnachmittag vorbeischauen, um eine Karte mit den Genesungswünschen der Lehrer zu überreichen.

Die andere wichtige Nachricht lautet, dass nicht nur für das Opfer selber, sondern auch für ihre Mitschüler und die Lehrer eine umfassende psychologische Betreuung sichergestellt ist - solange, wie es die Betroffenen brauchen. Das kann nach Einschätzung der Experten durchaus dauern, denn Menschen reagieren ganz unterschiedlich auf traumatische Erlebnisse, wie der staatliche Schulpsychologe Hans-Joachim Röthlein weiß. Manche blieben sogar völlig ungerührt, erzählte er am Freitagmorgen, ganz oft aber breche sich auch bei ihnen das Trauma später Bahn. Sie würden das Ereignis dann in Bildern oder "Filmen" vor dem inneren Auge erneut erleben und entsprechend darunter leiden.

Ganz direkt kam die Reaktion bei drei Mädchen, die die Messerattacke im Klassenzimmer miterlebt hatten und die Röthlein an diesem Morgen betreut hat: "Die sind komplett lernunfähig", schildert er, "die haben überhaupt nicht geschlafen und sind entsprechend fertig". Trotzdem seien diese Mädchen in der Schule gerade besser aufgehoben als Zuhause, sagt Röthlein: "Der wichtigste Heilungsweg geht über die soziale Gemeinschaft."

Und die funktioniert am Hofmiller-Gymnasium, das hat sich für Schulleiterin Hedwig Stock-Archner in den vergangenen Tagen gezeigt: "Mich erstaunt, wie krisenfest diese Schule ist." Nicht nur, dass Lehrer und Schüler am Tag der schrecklichen Tat selber äußerst besonnen reagiert hätten, auch der Elternabend, den man am Donnerstag kurzfristig organisiert habe, sei sehr gut angenommen worden. Rund 150 Eltern seien der Einladung gefolgt, alarmiert über den gerade erst eingerichteten Newsletter des Elternbeirats. Viele Fragen habe man an diesem Abend beantworten können, die Helfer des Kriseninterventionsteams, der Polizei und die Schulpsychologen hätten noch einmal erläutert, was geschehen sei und wie man den betroffenen Kindern jetzt helfen könne.

Die Polizei habe vor allem den Gerüchten zu den vermeintlichen Hintergründen der Tat die bislang ermittelten Fakten entgegengesetzt - und tatsächlich ist die Arbeit der Beamten noch lange nicht abgeschlossen. So wurde erst am Freitag begonnen, die Mitschüler, die Zeugen des Dramas in der 10d waren, zu befragen, laut Hans-Peter Kammerer, Sprecher des Polizeipräsidiums Oberbayern-Nord, werden sich die Ermittlungen bis in die kommende Woche hinein ziehen. Dass die Vernehmungen der Jugendlichen "im Schutzraum der Schule" durchgeführt werden, begrüßt Stock-Archner. Das sei ein "sehr sensibles Vorgehen".

Überhaupt ist die Schulleiterin voll des Lobes für die Arbeit der Polizei. Sehr schnell sei die Hilfe am Mittwoch dagewesen, ebenso schnell hätten sich die zahlreichen Beamten aber auch wieder zurückgezogen, als klar gewesen sei, dass die Lage unter Kontrolle war - und damit auch dazu beigetragen, dass in der Schule keine Panik aufkam. Wie berichtet, war man in der Einsatzzentrale zunächst von einem Amoklauf ausgegangen und hatte deshalb alle verfügbaren Kräfte mobilisiert. Dass sie dann nicht gebraucht wurden, ist vor allem zwei Schülern aus der 10d zu verdanken, die an diesem Mittwochvormittag in der Schule offenbar keine Sekunde gezögert haben, bevor sie handelten: Sie nahmen der 15-jährigen Mitschülerin das Küchenmesser weg, mit dem sie ihre Banknachbarin angegriffen hatte, und brachten sie ins Direktorat, wo sie bis zum Eintreffen der Polizei festgehalten wurde.

Dass ausgerechnet diese beiden so beherzt gehandelt haben, hat Stock-Archner und ihre Kollegin von der Schulleitung, Friederike Bornmüller, nicht überrascht: "Zwei tolle Jungs", lobten sie am Freitag. Tolle Jungs, die ihr Eingreifen laut Schulpsychologe Röthlein zudem für ganz selbstverständlich halten: "Die verstehen nicht, warum darum jetzt so ein Aufhebens gemacht wird." Die beiden seien sehr gefasst und nach außen hin auch cool, hat Röthlein weiter festgestellt. Manchmal sei so ein Vorfall tatsächlich leichter zu verarbeiten, wenn man "etwas tun konnte", gehandelt habe und nicht nur Zuschauer war.

Handeln will man nun auch an der Schule, Konsequenzen ziehen aus dem schrecklichen Vorfall - auch wenn man schon seit Jahren viel tut: Das Gewaltpräventionsprogramm "Zsammgrauft" mit dem Freisinger Jugendpolizisten Walter Schollerer ist fester Bestandteil des schulischen Angebots. Strategien zur Konfliktlösung werden hier erarbeitet. Dazu gehört laut Schollerer auch, dass man wirklich "hinschaut und handelt", wie es die Klassenkameraden des Opfers getan haben. Und auch wenn Schulleiterin Stock-Archner weiß, dass letztlich auch noch mehr Präventionsarbeit den "Einzelfall eines kranken Kindes" nicht wird verhindern können, will man dennoch überlegen, was man noch tun kann.

"Gemeinschaftsbildende Maßnahmen" fallen der Schulleiterin da ein - und man wird sich wohl auch mit den von immer mehr Jugendlichen genutzten sozialen Netzwerken im Internet noch auseinandersetzen müssen, um wirklich "hinsehen" zu können. Das zumindest wäre für den Schulpsychologen Röthlein eine Konsequenz aus den jüngsten Ereignissen in der 10d. "Sie glauben nicht, was gemobbt wird über das Internet", sagte er am Freitag, "das ist eine kaum kontrollierbare Parallelwelt". Die Polizei hat bislang allerdings keinerlei Hinweise darauf, dass eine Form von Mobbing im Fall der 15-jährigen Täterin eine Rolle gespielt hätte.

Als ganz konkrete Hilfe hat man der Klasse 10d bereits ein neues Zimmer zugewiesen, denn in dem alten möchte nicht nur das Opfer nicht mehr unterrichtet werden, auch die Mitschüler wollen den Raum in Zukunft meiden. Vielleicht nutze man das Zimmer künftig für wechselnde Kurse, überlegt Friederike Bornmüller. Außerdem ist am Montag eine Andacht für die 10d geplant - auf Wunsch der Schüler. Gegenüber bei den Pallottinern soll sie abgehalten werden, in der fünften Stunde - danach werden sich die Schulpsychologen auch noch einmal für helfende Gespräche bereit halten.

Ganz leise hat Schulleiterin Stock-Archner auch schon darüber nachgedacht, die "tollen Jungs" für ihr mutiges Eingreifen besonders zu ehren. Dem Schild am Eingang des Schulgebäudes haben die beiden jedenfalls alle Ehre gemacht. "Schule ohne Rassismus" steht da zu lesen - und: "Schule mit Courage."

© SZ vom 17.12.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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