Nach dem Unwetter in Steinhöring:"Da wächst nichts mehr"

Hagelschaden - Feldbegehung bei Steinhöring

Die Analyse bei diesem Feld in der Nähe von Steinhöring im Landkreis Ebersberg fällt verheerend aus: Der Hagel sorgte für einen Totalschaden.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Auf den Feldern rund um Steinhöring zeigt sich das verheerende Ausmaß der Zerstörung des Unwetters vom Dienstag. Mehrere tausend Hektar Anbaufläche hat der Hagel alleine im Landkreis Ebersberg vernichtet. Die Bauern hoffen auf politische Unterstützung

Von Johannes Korsche, Steinhöring

Josef Winkler, Geschäftsführer des Maschinen- und Betriebshilfsring Ebersberg, hat sich ins Maisfeld gekniet und hebt ein gelbes, zerfleddertes Ding hoch. Was er in der Hand hält ist das, was der Hagel am Dienstagabend vom Mais übriggelassen hat. Es ist nicht viel. Die Maisstängel sollten eigentlich schienbeinhoch in die Höhe ragen, doch auf dem Acker kurz vorm Steinhöringer Ortsteil Tulling steht kein Halm mehr senkrecht. Die Stängel sind umgeknickt, vom Hagel regelrecht zerfetzt liegen sie gelblich auf dem Boden. Auch einige Tage nach dem Unwetter ist das Ausmaß noch nicht ganz abzusehen, nur eine grobe Schätzung gibt es bisher: Insgesamt habe der Hagel in Oberbayern in einer 30 Kilometer breiten und 200 Kilometer langen Schneise gewütet, die Ernte sei dort größtenteils zerstört. Von Aying, Taufkirchen und Grasbrunn im Landkreis München, die B 304 durch den Ebersberger Landkreis entlang, bis zum Landkreis Mühldorf. Das Unwetter zog innerhalb von einer halben Stunde weiter, die Schäden werden die Landwirte noch weit über dieses Jahr hinaus beschäftigen. Drüben, auf der anderen Straßenseite, das gleiche Bild. 3,5 Hektar Weizen standen hier noch am Dienstagmittag, nun steht auch hier keine der Pflanzen mehr. Die nicht zu Ende gereiften Weizenkörner hat der Sturm aus ihren Hülsen katapultiert. Sie liegen unbrauchbar zwischen den Stängeln. "Das wächst nicht mehr", sagt Winkler und hebt ein Weizenstängel vom Boden. Je nachdem, ob die Landwirte schon die zweite Düngrunde ausgefahren hätten, seien bereits Kosten von etwa 1500 Euro pro Hektar angefallen. Die Zahlen lesen sich alleine für die im Ebersberger Landkreis am stärksten betroffenen Gemeinden Kirchseeon, Zorneding, Steinhöring und Ebersberg gewaltig: Insgesamt 1200 Hektar Getreide, 1070 Hektar Mais und 118 Hektar Soja und Raps seien vernichtet, hat Winkler grob überschlagen.

Die Felder seien "wie mit dem Rasenmäher" gemäht, sagt auch Kreisbäuerin Sonja Dirl vom Bauernverband München, beim Blick auf die Weizen- und Maisfelder. Immer wieder hört man vom Hagelsturm 1984, der ähnlich verheerend gewesen sei, um die Jahrtausendwende habe es das bisher letzte Mal so einen Hagel gegeben. Und nun eben der Hagelsturm vom Juni 2021.

Er trifft die Landwirte doppelt. Selbst wenn die Bauern nun noch schnell eine andere Maissorte anbauen, die nicht so lange zum Reifen benötigt, werde es dieses Jahr ein Minusgeschäft, sagt Dirl. Denn neben den zusätzlichen Kosten für Saatgut und Maschinen sei der nachträglich angebaute Mais auch nicht so ertragreich. Und als ob das nicht reichen würde, kommt ein weiteres dazu. Das meiste der zerstörten Ernte war als Futter eingeplant, oft für die eigenen Tiere des Hofes. Weil die Schneise des Hagels so groß war, könnten die Landwirte nun nicht, wie man das bei Ernteausfällen sonst macht, ein paar Gemeinden weiter bei einem anderen Hof Futter abholen. Und weite Strecken mit einem Trecker fahren, gehe auch nicht ohne Weiteres, sagt Dirl. Alles, was den betroffenen Bauern noch bliebe, sei Schadensbegrenzung.

Kurz schaut auch Rupert Gärtner von der Landwirtschaftsversicherung "Vereinigte Hagel" bei den Feldern bei Tulling vorbei. Er ist den dritten Tagen in Folge unterwegs, Schadensaufnahme. Bei manchen Feldern sei es für ihn traurigerweise recht einfach, wie hier in Steinhöring: ein kurzer Blick, ein Foto - Totalschaden, weiter geht's. Am Donnerstag hat die Versicherung eine erste Schätzung ausgegeben, wie viel Hektar in den vergangenen Tagen durch Unwetter zerstört wurden. Von der Nordsee nach Bayern seien es mehr als 30 000 Hektar gewesen, Schadenssumme allein bei dieser Versicherung: mehr als zehn Millionen Euro, heißt es da.

Wäre am Dienstagabend nicht dieses Unwetter über den Landkreis gezogen, wären die Rollen jetzt vertauscht. Nicht der Versicherer hätte was zu tun, sondern Wolfgang Hofstetter. Landwirte buchen bei ihm Erntefahrten mit Mähdreschern. Von der Allianz Arena bis zum Bad Tölzer Landkreis mähen seine 18 Maschinen während der Erntesaison, genauso viele Saisonarbeiter beschäftigt er auch. Hinzu kommen zwei Festangestellte. Normalerweise. Ihm werden Aufträge wegfallen, das weiß er schon jetzt. "Das kann man nicht in einem Jahr kompensieren." Er habe bereits reagiert, Investitionen in Maschinen abbestellt, Reparaturen verschoben. Bei Hagelschäden seien oft zumindest noch Teile der Pflanzen "erntewürdig". Nach dem Dienstagsunwetter ist das größtenteils nicht so. Was ihm gerade Sorgen mache, sei die Bank zu bedienen, und die Löhne zahlen zu können. Den größten Teil seines Jahresumsatzes erwirtschaftet er innerhalb weniger Wochen, "20 Tage dauert die Weizenernte", sagt er während er vor einem Weizenfeld steht, das der Hagel in 20 Minuten komplett platt gemacht hat. "Landwirte haben bei mir angerufen und haben eine neue Saat bestellt, die haben am Telefon geweint."

Weil der Hagelschaden so gravierend groß ist, werden Rufe nach politischer Hilfe laut. "Das ist eine außergewöhnliche Situationen, auf die außergewöhnlich reagiert werden sollte", versichert Landtagsabgeordnete Doris Rauscher (SPD). Das wichtigste sei nun, die Fördermodalitäten zu klären und zu vereinfachen, fügt Abgeordnetenkollege Thomas Huber (CSU) hinzu. Die sind sehr kompliziert, wie das Landwirtschaftsamt Ebersberg ausführt. 15 Arbeitstage hätten Landwirte nun Zeit, um sich zu melden, wenn sich bei den angebauten Pflanzen etwas geändert habe. Andere Pflanze, andere Förderung. Wenn am Stichtag dann etwas anderes angebaut ist, als auf dem Förderantrag angegeben, gibt es statt Fördergeld eine Strafgebühr.

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