Das Museum Erding verfügt über viele sehenswerte Exponate und dabei haben auch Fotos einen großen Stellenwert. Allein die Fotowand, die sich vom Außenbereich bis in die Empfangshalle erstreckt, ist für viele Besucher immer wieder ein Blickfang, bei dem man stehen bleibt und sich Zeit für Erinnerungen nimmt. Der Fotoschatz des Museums wird immer größer. Deshalb nimmt sich seit geraumer Zeit eine junge Kunsthistorikerin der Arbeit an, die Bilder zu digitalisieren, einen qualifizierten Datensatz dazu zu erstellen und sie zu archivieren. Simone Lachmann (35) aus Moosinning muss dabei manchmal auch detektivischen Spürsinn entwickeln, um alte undatierte Aufnahmen zuordnen zu können. Welche Mode tragen die fotografierten Menschen, welche Fahrzeuge sieht man im Straßenbild, welche Gebäude wurden wann abgerissen oder neu gebaut? Für sie sind das Herausforderungen, die Spaß machen und eine vergleichsweise moderne Sparte der Kunstgeschichte bilden.
Die Sparte Fotografie lag bisher im Museum Erding nicht darnieder, ganz im Gegenteil. Paul Adelsberger hat hier 30 Jahre lang Pionierarbeit geleistet, viele Ehrenamtliche haben beim Aufbau geholfen. Die Fotowand und auch der Bildband "Erding. Impressionen aus einer kleinen Stadt" sind daraus entstanden. Aber der Bestand wächst und gedeiht in einem Tempo, dass das Museum nunmehr eine hauptamtliche Fachkraft gesucht und in Lachmann auch gefunden hat.
Auf dem Weg in ihr Büro fällt einem ein Stapel alter Ilford-Schachteln auf, Fotopapier für Schwarz-Weiß-Aufnahmen. Konrad Kressierer hat sie vergangene Woche dem Museum vermacht. Kressierer hat jahrzehntelang für den Erdinger Anzeiger fotografiert; er war immer dort, wo sich etwas von Interesse ereignete. Entsprechend groß ist die Ausbeute: rund 5000 Abzüge, ein fotografischer Schatz für die Nachwelt. Der aber erst gescannt und digital archiviert werden muss.
Eine Glasplatte um das Jahr 1900 als Bildträger vor Azetat-und Zelluloidfilm. Die Aufnahme entstand in der Langen Zeile, der Fotograf war Johann Baptist Weiß.
(Foto: Renate Schmidt)Das Museum und seine ehrenamtlichen Mitarbeiter liefern ebenfalls Unmengen Material. Alle zehn Jahre wird die komplette Stadt fotografiert, Straßenzug um Straßenzug, jeder Winkel, jede Ecke, jede Veränderung wird festgehalten. Und dieser Turnus wird auch erweitert, wenn sich außerhalb der Reihe etwas Wichtiges ereignet. Wie beim Abriss des Gasthofs zur Post, den man lückenlos dokumentiert hat.
Fotografie wurde erst in den 1960er Jahren für Normalbürger erschwinglich. Zwar gelang es Joseph Niepze bereits 1826 das erste beständige Bild aufzunehmen. Aber erst mit dem Rollfilm, den Georg Eastman 1889 erfand, kam man einen wirklichen Schritt weiter. Unabhängig von den großen Boxkameras wurde die Fotografie erst 1925, als Leica den Prototypen einer Kleinbildkamera vorstellte. Und noch 1950 musste man auf der ersten Fotokina rund 3000 Mark für eine Profikamera bezahlen; für 5000 Mark gab es schon einen VW Käfer.
Dieses Bild zählt zu den ältesten im Fotoarchiv, es zeigt das alte Rathaus mit dem Stadtturm und soll Mitte der 1860er Jahre entstanden sein.
(Foto: Renate Schmidt)Alte Aufnahmen vor mehr als 100 Jahren gibt es daher nur wenige, weil Fotos noch sehr teuer waren. Die ältesten Fotos, über die das Museum Erding verfügt, datieren auf Mitte der 1860er Jahre. Die Aufnahmen befinden sich auf Glasplatten. Die Schlossbesitzer von Heilig Blut sollen ihre Kontakte zur Münchner High Society genutzt haben, damit ein Fotograf nach Erding kommt, um die pittoreske Altstadt zu fotografieren. Danach kam eine Lücke. Erst um das Jahr 1900 folgen weitere Aufnahmen des Landshuters Johann Baptist Weiß, der ein Atelier in Erding eröffnete. Er erledigte nicht nur Kundenaufträge, sondern war auch bei öffentlichen Geschehnissen dabei. Weitere Bilder von Erding entstanden dann für Ansichtskarten, die händisch koloriert wurden und dann in den Druck gingen. Das Museum erwirbt solche Ansichtskarten von Sammlern, sie hat auch Paul Adelsberger bereits fleißig gesammelt.
Die Originale werden im Depot möglichst dunkel und kühl aufbewahrt, einzeln in Hüllen und mit Inventarnummer. Derzeit sind es etwa 40 000 Fotografien und 3100 Ansichtskarten. Manche haben bereits einen Gelbstich, manche einen Knick, aber zumindest der Zustand am Schenkungstag soll erhalten werden. "Die Digitalisierung aller Bilder ist wichtig", sagt Museumsleiter Harald Krause. "Aber für Ausstellungen und Forschungen brauchen wir die Originale."
Die ersten Farbfotos wurden Mitte der 1950er Jahre im Fliegerhorst aufgenommen.
(Foto: Renate Schmidt)Viele Bilder könne man auch am Stil der Aufnahmen zeitlich zuordnen, erklärte Krause. Aufnahmen aus den 1960er Jahren wirken wertschätzend, Fotos waren immer noch etwas Besonderes. Sie wirken statisch, in Position gesetzt. Oftmals wählte man ein dominantes Gebäude in der Stadt als Hintergrund aus, vor dem man sich in Szene setzte. Dabei positionierte man sich beispielsweise anlässlich einer Goldenen Hochzeit vor dem Weißbräu.
An Motiven ist alles dabei: Stadtansichten, Aufnahmen aus dem gesamten Landkreis, Porträts von Bürgern, Gruppenaufnahmen, Klassenbilder, Alltagsszenen, Herbstfeste, Kirchenfeiertage und Veranstaltungen, Fotografien von Geschäften, Firmen und dem Handwerk. Schulen, Kindergärten, Vereine, Post und Bahn oder Landwirtschaft.
Solche privaten Aufnahmen sind oftmals undatiert. Da erwacht bei der Kunsthistorikerin Lachmann der Spürsinn: Sie geht natürlich zuerst ins Archiv, um dort nach vergleichbaren Aufnahmen zu suchen. Hinweise geben aber auch die Kleidung, die auf den Bildern getragen werden, Autos im Straßenbild, Veränderungen an Gebäuden, das Design von Beschriftungen und dergleichen mehr. Hilfreich dabei ist auch, dass Simone Lachmann ortskundig ist. Sie hat in Erding das Anne Frank-Gymnasium besucht, bevor sie in Regensburg begonnen hat, Kulturwissenschaften zu studieren. Den Bachelor hat sie in den Wissenschaften gemacht, den Master in Kunstgeschichte.
Rund 20 Fotoanfragen erhält das Museum pro Jahr. Bildmaterial für einen Zeitungsartikel sind darunter, zudem benötigen auch Studierende oder Wissenschaftler Fotografien für ihre Forschung oder Heimatforscher für ihre Publikationen und Vorträge. Es gibt Privatpersonen, die mehr zu ihrer Familiengeschichte erforschen wollen oder für Klassentreffen historische Motive oder Personen aus ihrer Schulzeit suchen. Manchmal benötigen auch andere Museen ein Motiv für eine Ausstellung oder Publikation. Wichtig sei auch die Zusammenarbeit mit dem Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege sowie der Unteren Denkmalschutzbehörde der Stadt Erding. Frühere Fassadengestaltungen, Veränderungen von Anbauten und Fensteranordnungen stehen bei den Denkmalschützern meist im Mittelpunkt. Auch Filmhistoriker haben schon angeklopft, die mehr über die Dreharbeiten von "Quax, der Bruchpilot" wissen wollten, der 1941 mit Heinz Rühmann in Erding entstanden ist. Das Fotoarchiv sei ein "Gemischtwarenladen", konstatiert Harald Krause.