Süddeutsche Zeitung

Münchner Flughafen:Verdacht auf Totschlag: Frauenarzt nach München ausgeliefert

  • Ein ehemaliger Frauenarzt aus Erding soll 2013 seine Frau getötet haben.
  • Seit Herbst 2016 befand er sich in Chile in Abschiebungshaft, nun wurde er nach München ausgeliefert.
  • Der Mann war in einem ersten Prozess freigesprochen worden, doch die Staatsanwaltschaft legte beim Bundesgerichtshof (BGH) Revision gegen das Urteil ein.
  • Kurz bevor der BGH den Freispruch aufhob, reiste der Mann nach Südamerika.

Von Florian Tempel, Erding

Der frühere Erdinger Frauenarzt Michael B., der unter dem Verdacht steht, vor etwas mehr als drei Jahren seine damals 60 Jahre alte Ehefrau in ihrem gemeinsamen Reihenhaus in Erdinger Stadtteil Pretzen getötet zu haben, ist am Donnerstag nach Deutschland ausgeliefert worden.

Nach übereinstimmenden Informationen der Süddeutschen Zeitung und der Neuen Osnabrücker Zeitung sollte der nach Südamerika geflüchtete 57-Jährige, der sich seit vergangenen Herbst in Chile in Auslieferungshaft befand, an diesem Donnerstag von Beamten des Landeskriminalamts (LKA) begleitet am Flughafen München landen. Nach seiner Ankunft sollte er zunächst in die Justizvollzugsanstalt Landshut gebracht werden. Die Vorführung beim Haftrichter ist erst für Freitag geplant. Der neue Prozess wird voraussichtlich im Mai starten.

Mit der Rückkehr von Michael B. beginnt ein weiteres Kapitel eines Aufsehen erregenden und noch lange nicht abgeschlossenen Kriminalfalls, der am 4. Dezember 2013 seinen Anfang nahm. Am Abend jenes Tages hatte Michael B., kurz nachdem er von der Arbeit in seiner Erdinger Praxis nach Hause zurückgekommen war, seine Nachbarn um Hilfe gerufen. Seine Ehefrau lag tot im Bad im ersten Stock seines Reihenhauses.

Der vom Nachbarn alarmierte Notarzt und Beamte des Kriminaldauerdienstes der Kripo Erding schätzten die Lage völlig falsch ein. Sie glaubten, obwohl die Leiche mehr als 100 Hämatome aufwies, die Frau sei bei einem unglücklichen Sturz ums Leben gekommen. Da die Polizei zunächst von einem häuslichen Unfall ausging, wurden mögliche Spuren nicht gesichert. Noch schlimmer: Michael B. durfte mit Erlaubnis der Polizei sogar den Tatort säubern.

Die Richterin warf den Ermittlern "polizeilichen Spurenvernichtung" vor

Bei der Obduktion der Leiche, die beinahe nicht vorgenommen worden wäre, zeigte sich am folgenden Tag, dass die Frau Opfer eines schweren Gewaltverbrechens geworden war. Sie war zuerst übel verprügelt und dann erstickt und erwürgt worden. Michael B. wurde verhaftet. Die Polizei konnte aber nur noch wenige, zum Teil mikroskopisch kleine Blutspuren im Bad, an seiner Brille und Handschuhen sichern.

Als Motiv sah der ermittelnde Staatsanwalt Klaus Kurtz Differenzen der Eheleute darüber, ob der Angeklagte Kontakte zu seinen vier leiblichen Kindern aus erster Ehe haben durfte, was seine zweite Frau nicht wollte. Zudem war das Opfer schwer alkoholkrank und am Tattag massiv betrunken, was zu einer Eskalation des Streits beigetragen habe. Die Anklage lautete - und lautet weiterhin - nicht auf Mord, sondern auf Totschlag.

Im ersten Prozess beteuerte der Angeklagte, er habe nichts mit der Tat zu tun. Er habe auch keinerlei Streit mit seiner Frau gehabt, sondern im Gegenteil ein vollkommen harmonisches Leben mit ihr geführt. Seine drei Verteidiger argumentierten, dass die Beweislage schlicht zu dünn sei. Das Gericht folgte dem und sprach Michael B. am 19. Januar 2015 mangels Beweisen frei. Die Vorsitzende Richterin Gisela Geppert vermied die Formulierung "im Zweifel für den Angeklagten".

Sie ging mit der Arbeit der Kripo hart ins Gericht und warf den Ermittlern "polizeilichen Spurenvernichtung" vor. Der Angeklagte sei zwar "tatverdächtig", doch die wenigen belastenden Indizien und ergäben "auch in der Gesamtschau" keinen eindeutigen Nachweis "seiner Täterschaft", sagte Geppert.

Die Ausreise nach Chile war legal

Staatsanwalt Kurtz, der mit 14 Jahren Haft fast die Höchststrafe für Totschlag beantragt hatte, legte gegen das Urteil Revision beim Bundesgerichtshof (BGH) ein. Bis der BGH sich der Sache annahm, ging fast ein ganzes Jahr ins Land. Michael B. zog derweilen in das geerbte Haus seiner Eltern in der Nähe von Osnabrück ein.

In Osnabrück war er viele Jahre Chefarzt einer katholischen Frauen- und Geburtsklinik gewesen. Wenige Tage bevor der BGH am 2. Dezember 2015 den Freispruch aufhob, weil die Landshuter Richter "in der Gesamtschau" die Indizien nicht richtig gewertet hätten, hatte er Osnabrück schon in Richtung Südamerika verlassen.

Seine Ausreise nach Chile war legal. Michael B. durfte als freier Mann hinfliegen, wohin er wollte. Bis ein neuer Haftbefehl erlassen wurde, vergingen Monate. Die nach der BGH-Entscheidung nunmehr zuständigen Richter am Landgericht Landshut mussten sich erst in die Akten einlesen. Im Frühsommer 2016 wurde schließlich das LKA beauftragt, den Aufenthaltsort des von nun an wieder als "dringend tatverdächtig" Gesuchten ausfindig zu machen.

Das war offenbar keine Schwierigkeit. Viel aufwendiger war es, einen Teil der Akten ins Spanischen zu übersetzen und sie den chilenischen Justizbehörden zukommen zu lassen. Da Deutschland und Chile keinen Auslieferungsvertrag haben, war eine Einzelfallprüfung notwendig.

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SZ vom 23.02.2017/amm
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