Süddeutsche Zeitung

SZ-Serie: Tatort Region, Folge 2:"Dr. Mord" schlägt wieder zu

Die SZ beleuchtet Fälle aus München und der Umgebung, die Kriminalgeschichte geschrieben haben. In dieser Folge geht es um einen gierigen Arzt. Er tötet, sitzt 17 Jahre im Gefängnis - und tötet im Landkreis Erding erneut.

Von Florian Tempel, Erding

Wenn es nicht wahr wäre, würde man das alles kaum glauben können. Ein Arzt, der 1984 schon mal einen Mord aus Habgier begangen und dafür 17 Jahre im Gefängnis gebüßt hatte, schlägt 2008 ein zweites Mal zu. Erneut, um sich zu bereichern, erneut mit unglaublicher Kaltblütigkeit, trickreich und raffiniert. Ein Mediziner, für den ein Menschenleben nichts zählt und der in seiner bösartigen Überheblichkeit fest davon überzeugt ist, keiner könne ihm etwas nachweisen. Doch der Kripo Erding gelingt ein Meisterstück der Kriminalistik. "Dr. Mord", wie ihn die Ermittler intern nennen, wird überführt und nach einem spannenden Indizienprozess 2009 zum zweiten Mal in seinem Leben zu lebenslanger Haft verurteilt.

Am Ostermontag 2008 wird der 48 Jahre alte Finanzbeamte Anton F. in seinem heruntergekommenen Bauernhaus in Kirchasch im Landkreis Erding mit einem Schuss aus einem Revolver vom Kaliber .38 oder .375 Magnum in den Hinterkopf getötet. Der Ermordete lebte unter erbärmlichen Umständen. Auf seinem Anwesen gab es keine Toilette, sondern nur ein Plumpsklo auf dem Hof, einen einzigen Wasserhahn in der Küche, dafür viel Müll, Unordnung und Dreck. Doch der ledige Sonderling war wohlhabend. Allein sein Wertpapierdepot hatte einen Wert von etwa 600 000 Euro. Am Tatort finden sich mehrere gefälschte Dokumente, die einen gewissen Wolfgang R. und dessen Lebensgefährtin als Nutznießer auswiesen. Sie ist eine Kollegin und Freundin des Opfers und in zwei - gefälschten - Testamenten als Alleinerbin eingesetzt.

SZ-Serie: Tatort Region

Mörder und Millionendiebe, Betrüger und Entführer, prominente und zufällige Opfer: Die Süddeutsche Zeitung erzählt noch einmal die spektakulärsten Kriminalfälle rund um München.

Knapp einen Monat nach der Tat verhaftete die Polizei Wolfgang R. Was die Öffentlichkeit zunächst nicht erfährt: Der damals 60-jährige Hauptverdächtige hat schon einmal einen Mord begangen. 1984 hatte er seine frühere Praxis in Höchst im Odenwald angezündet, um umgerechnet 1,9 Millionen Euro Brandschutzversicherung zu kassieren. Begleitend zum erbärmlich gescheiterten Betrug - es kam nur zu einem Schwelbrand - brachte er den Vermieter seiner Praxis um, gewissermaßen vorsorglich, um einen möglichen Zeugen auszuschalten. Er betäubte ihn und setzte ihm einen Schnitt in der Nase, so dass er an seinem eigenen Blut erstickte. Wolfgang R. beteuerte beim ersten Prozess vor dem Landgericht Darmstadt seine Unschuld und behauptete, die wahren Mörder seien Geheimdienstagenten gewesen.

Nach 17 Jahren im Gefängnis wird er wieder in Freiheit entlassen und erstreitet sich gerichtlich seine Zulassung als Mediziner zurück - er gilt ja als rehabilitiert. Arbeit findet er als angestellter Arzt in einer Praxis in Augsburg. Eigentlich geht es Wolfgang R. ziemlich gut. Er verdient mehr als 100 000 Euro im Jahr und er lernt eine Frau kennen, die viel jünger als er ist und ihn anhimmelt. Über sie lernt er auch sein zweites Mordopfer Anton F. kennen.

Die damals 35 Jahre alte Lebensgefährtin von Wolfgang R. wird als mutmaßliche Mittäterin ebenfalls verhaftet. Sie ist schwanger und bringt ihr Kind während der Untersuchungshaft zur Welt. Es kommt in eine Pflegefamilie. Sie selbst wird im Laufe des Prozesses aus der Haft entlassen und am Ende freigesprochen. Auch sie ist ein Opfer, vom vier Mal verheirateten und vier Mal geschiedenen Wolfgang R. manipuliert und ausgenutzt.

Trotz der schnellen Verhaftungen dauern die Ermittlungen der Sonderkommission "Kirchasch" viele Monate an. Der letzte lückenlose Nachweis ist nicht leicht zu führen. Der Fall kommt sogar in die Fernsehsendung "Aktenzeichen XY... ungelöst". Harte objektive Beweise gibt es nicht. Niemand hat Wolfgang R. am Tatort gesehen, die Tatwaffe ist und bleibt verschwunden, und es fanden sich keine DNA-Spuren oder Fingerabdrücke. Die Anklage baut auf Indizien auf.

Das entscheidende Puzzlestück, das Wolfgang R. überführen wird, hat er in seiner ganzen Überheblichkeit selbst gelegt: Am Tatort hatte man die Blutspur einer Frau gefunden. Auf dem Tischtuch in der Küche waren mehrere Milliliter Blut verspritzt oder eher vergossen. Für die Ermittler ist das lange rätselhaft, sehr rätselhaft. Bis die Kriminalbeamten auf den Gedanken kommen, dass der Täter ihnen diese Blutspur untergejubelt hat.

Um das herauszufinden, schreibt die Kripo Hunderte Patientinnen der Augsburger Praxis an, in der Wolfgang R. arbeitete, und bittet sie um eine DNA-Vergleichsprobe. Mit Erfolg. Die Frau, von der das Blut am Tatort stammt, wird gefunden. Wolfgang R. hatte ihr Monate vor der Tat Blut abgenommen. Wahrscheinlich hat er die Probe tiefgefroren zu Hause in seinem Kühlschrank aufbewahrt - um sie am Ostermontag zum Tatort mitzunehmen und die rätselhafte Trugspur zu legen.

Am 30. April 2009 beginnt der Prozess am Landgericht Landshut. Jeder Verhandlungstag ist spannend, denn es gibt so viel Unglaubliches zu hören. Zeugen berichten von tolldreisten Geschichten, die ihnen der Angeklagte erzählt hat: Er habe als Geheimdienstagent im libanesischen Bürgerkrieg Scharfschützen mit Waffen versorgt und ihnen Anweisungen gegeben, wohin sie zielen sollten, um die Schussverletzungen der Opfer später in einem Beiruter Krankenhaus zu erforschen. Er habe als Arzt in Afrika gearbeitet, wo er ein Krokodil nur mit einem Messer erlegt habe und einen Rebellen-Hubschrauber mit einem Gewehrschuss vom Himmel geholt habe. Er spreche fließend Russisch und Türkisch, er spiele jeden Sonntag Orgel in der Kirche - und so weiter. Nichts davon ist wahr.

Ist er verrückt? Nein, sagt der Münchner Psychiatrie-Professor Norbert Nedopil. Wolfgang R. habe nur eine starke Persönlichkeitsakzentuierung mit zwei Aspekten: Zum einen gehöre Lügen und Betrügen bei ihm zum Lebensstil. Maligner Narzissmus sei der zweite und gefährlichere Wesenszug, eine bösartige Mischung aus egozentrischer Überheblichkeit und einem eklatanten Mangel an Empathie. Kurz: Der Mann ist böse, nicht krank.

Zum Ende des Prozesses wird bekannt, dass Wolfgang R. auch im Verdacht steht, für einen ungeklärten Giftanschlag 1983 an der Uni in Würzburg verantwortlich zu sein. Zwölf Menschen wurden damals durch mit Thallium versetzte Getränke vergiftet, ein 24-Jähriger starb. Auch zwei seiner vier ehemaligen Ehefrauen berichteten, sie hätten während ihrer Zeit mit ihm lebensbedrohliche Vergiftungen erlitten.

Am Ende verhängt das Gericht lebenslange Haft mit anschließender Sicherheitsverwahrung. Ohne diesen Beschluss hätte R. um seinen 80. Geburtstag herum auf Bewährung freikommen können. Das Schwurgericht sah jedoch die Gefahr, dass er selbst in so hohem Alter noch einmal einen Mord begehen könnte, als zu groß an.

Alle Folgen der Serie "Tatort Region" finden Sie auch online unter sz.de/tatort.

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URL:
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Quelle:
SZ vom 30.07.2019
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