Süddeutsche Zeitung

Mitten in Unterhofkirchen:Heiliger Bimbam

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Nächtliches Glockengeläut reißt eine Anwohnerin aus dem Schlaf. Auch in Dorfen ist der Krach am Samstag umstritten

Von Thomas Daller

Big Ben, die größte Glocke im Elisabeth Tower in London, ist vor ein paar Tagen abgestellt worden. Am Turm laufen die nächsten paar Jahre Sanierungsarbeiten und der Lärm aus nächster Nähe ist für die Bauarbeiter nicht zumutbar. Da könnte eine Dame aus Unterhofkirchen ein wenig neidisch werden. Sie ist vor geraumer Zeit von der Stadt aufs Land gezogen und hat nun in ihrer neuen Wohnung in Unterhofkirchen festgestellt, dass die Turmuhr im benachbarten Kirchturm alle Viertelstunde schlägt. Wer das nicht gewohnt ist, wird nachts immer wieder aus dem Schlaf gerissen. Deshalb hat sie sich mit der Bitte an die Gemeinde gewandt, ob man das nächtliche Läuten zwischen 20 Uhr abends und 8 Uhr morgens nicht abstellen könnte.

Nachdem sich die Sache rumgesprochen hat, richtet sich nun der geballte Volkszorn gegen die Dame. Zugezogene! Wollen unsere Traditionen abschaffen, wird geschimpft, wenn das Gespräch auf dieses Thema kommt. Als nächstes wolle sie wohl auch noch den Kühen das Muhen verbieten lassen und den Hähnen das Krähen. Dabei geht ein wenig unter, dass die Dame das religiös begründete Glockengeläut offenbar respektiert und es ihr lediglich um den nächtlichen Schlag der Turmuhr geht. Und der ist tatsächlich ziemlich überflüssig, weil jeder Mensch Uhren besitzt, an denen er die Zeit ablesen kann. Das sieht auch die Rechtssprechung der Verwaltungsgerichte so, die nur das sakrale Läuten schützt. 45 Dezibel sind in Dorfgebieten nachts gerade noch zulässig. In einschlägigen Gerichtsurteilen wird zum Beispiel auch auf moderne technische Möglichkeiten hingewiesen, mit denen man das nächtliche Glockenschlagen leiser stellen kann.

Im nicht weit entfernten Dorfen gibt es ebenfalls eine nicht geringe Zahl von Menschen, die über das samstägliche ohrenbetäubende Gebimmel schimpfen, ohne zwangsläufig Querulanten zu sein. Dort hat man vor Jahren das "Sonntageinläuten" wieder eingeführt, das es in dieser Form in ganz Bayern kaum noch gibt. Von 15 Uhr an werden alle Glocken in der Stadt eine geschlagene Viertelstunde gleichzeitig geläutet, was sich anhört, als müsse der Leibhaftige persönlich aus der Stadt vertrieben werden. Damit hat man früher den Knechten und Mägden auf den Feldern signalisiert, dass das Wochenende begonnen hat. Aber im 21. Jahrhundert kann man wohl die Frage stellen, ob man speziell solche redundanten Lärmbelästigungen im Namen der Traditionspflege hinnehmen muss, ohne dass Konservative gleich auf die Barrikaden gehen, weil sie darin eine Gefahr für die bayerische Leitkultur sehen. Denn es sind nicht zur Zugezogene, die bei solchem Gebimmel gerne zur Dose mit Bauschaum greifen würden.

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Quelle:
SZ vom 25.08.2017
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