Mitten in Freising:Fließende Grenzen

Klischees wären keine Klischees, wenn sie nicht doch manchmal stimmen würden

Von Alexander Kappen

Das Wort Klischee stammt ursprünglich aus dem Buchdruck und bezeichnet einen vorgefertigten Druckstock. Das war eine Art Stempelform oder Schablone, mit der man etwa Schriftzüge beliebig reproduzieren konnte. Im übertragenen Sinn ist das Klischee schablonenhaftes Denken oder, wie es im Duden heißt, eine "eingefahrene, überkommene Vorstellung". Solche unreflektierten Vorstellungen werden oft irgendeiner Gruppe verallgemeinernd und in teils despektierlicher Art zugeschrieben.

Dann heißt es etwa: Die Deutschen sind pünktlich und essen den ganzen Tag Sauerkraut, wenn sie nicht gerade Bier trinken oder Elfmeterschießen gewinnen. Die Italiener bauen schick designte Autos, die aber hinter der nächst besten Kurve liegen bleiben. Die Holländer fahren ständig mit dem Rad am Deich spazieren, während alle anderen zur WM fahren. Und die Engländer haben einen verhängnisvollen Hang zu inselhafter Isoliertheit, können nicht kochen - und erst recht nicht Elfmeter schießen.

Beliebt sind auch geschlechtsspezifische Klischees. Frauen, das weiß jeder, können nicht einparken. Sie reden über den Daumen gepeilt 217,4 mal so viel wie Männer. Sie sind natürlich multitaskingfähig. Und wenn man einer Frau sagt, sie muss auf eine einsame Insel und darf nur das mitnehmen, was ihr am allerwichtigsten ist, dann entscheidet sie sich für ihre 200 Paar Lieblingsschuhe.

Männer dagegen, so will es das Klischee, sind wortkarg, zielstrebig, erfolgsorientiert, zeigen außer Durst keine Gefühle und Emotionen und weinen nicht. Außer ihre Lieblingsfußballmannschaft verliert. Fußball, so ein beliebtes Klischee, ist für jeden Mann selbstverständlich so etwas wie ihre Religion, die 15.30 Uhr-Bundesliga-Konferenz am Samstagnachmittag Pflicht.

Wobei die Grenzen zwischen Klischee und Wirklichkeit fließend sind, wie jetzt der Fall eines Angeklagten am Freisinger Amtsgericht gezeigt hat. Der Mann musste wegen eines Delikts seine Wohnung für einige Zeit verlassen und sollte, wie er erzählte, laut Polizei noch seine wichtigsten Sachen zusammenpacken und mitnehmen. Und was wählte aus? "Meinen 49-Zoll-Flachbildfernseher und meinen Sky-Receiver, damit ich Bundesliga schauen kann."

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