Der junge Mann sieht verzweifelt aus. Er hat dunkle Haut und ist auf dem Weg zum Bahnhof. Er spricht nicht sehr gut Deutsch. Die lange SMS, die er von seinem Arbeitgeber bekommen hat, überfordert ihn. "Hallo Sie, lesen Sie, bitte!", ruft er. Dann hat man auch schon sein Handy unter der Nase.
In der SMS erklärt eine Firma mit einem englischen Namen wortreich, dass es dieses Jahr keine Weihnachtsfeier geben werde, es hätten sich zu wenige Leute angemeldet. Der junge Mann deutet auf die Formulierung "nicht stattfindet", die hat er verstanden, allerdings nicht, worauf sie sich bezieht. Er denkt offenbar, er habe gerade eine Kündigung erhalten - per SMS. "Keine Arbeit?", fragt er. Man versucht ihm zu erklären, nein, arbeiten solle er schon gehen, nur die Weihnachtsfeier falle aus, aber die finde nach Feierabend statt: "Alles gut!"
Er wirkt erleichtert, aber nur ein bisschen, denn mit dem Begriff "Weihnachtsfeier" und dem Versuch, ihn zu erklären, tut er sich immer noch schwer. Ist ja auch beunruhigend, wenn im Zusammenhang mit der eigenen Arbeitsstelle irgendwas "nicht stattfindet", von dem man nicht weiß, was es ist. Vor allem wenn man lange auf diese Arbeit warten und hoffen musste, während ständig Dinge, die die eigene Existenz betreffen, "nicht stattfinden". Also diesmal ohne Erklärung, ohne "Weihnachtsfeier": "Mit der Arbeit gibt es kein Problem. Die Arbeit findet statt."
Plötzlich strahlt der junge Mann, nimmt seine Hand aus der Manteltasche, streckt sie aus und dem Fremden hin. Innerhalb von Sekunden scheint er um eine Kopflänge gewachsen zu sein. Man hat ihm gerade wahrscheinlich die größte Freude, das schönste Weihnachtsgeschenk gemacht. Seine ganz persönliche Weihnachtsfeier bekommt er in dem Moment, als ihm jemand bestätigt, dass seine Arbeit nicht "nicht stattfindet".