Mitten in der S-Bahn:Ein Liedchen am Morgen

Vögel singen an jedem neuen Morgen. Aber nicht "Lalala am Rhein"

Von Veronika Wulf

Eines Morgens in der S2, weit genug weg von München, dass es längst still war im Waggon, ertönten plötzlich markerschütternde Schreie. Ein älterer Herr schaute erschrocken auf. War jemand zwischen Zug und Bahnsteigkante geraten? Bein zerquetscht? Arm ab? Nein. Es war nur die Freude jener Schülerinnen, die zufällig dort am Gleis standen, wo sich nun die Bahntüren öffneten. Drinnen preschte die Horde zu den Sitzplätzen (die fast alle frei waren), rannte, rempelte, rang wie eine Rugbymannschaft - bis jeder Sitz mit mindestens 1,5 Schülerhintern belegt war. Die Ansage der nächsten Haltestelle ging im allgemeinen Gekreische und Gejohle unter.

Bereits Irina Rauthmann, eine deutsche Aphoristikerin und Lyrikerin, die vermutlich nur Leser von Aphoristik- und Lyrikportalen kennen, schrieb: "Die Vögel singen an jedem neuen Morgen ihr Lied. Warum nicht auch du?" Darin sah wohl auch die Lehrerin in der S2 ihre einzige Chance, das Knäuel 14-jähriger Krakeeler in akustisch geordnete Bahnen zu lenken. "Wollt ihr nicht was singen?" Eine Schülerin stimmte sofort an: "If you're happy and you know it, clap your hands!" Alle klatschten, schnipsten und stampften mit, auch die Lehrerin. Situation gebannt. Sie ging wieder.

Nächstes Lied: "I need a one dance", Drake sang über die Handylautsprecher mit. Kam die nächste Lehrerin: "Wer hat euch erlaubt, das Handy zu benutzen? Sofort aus!" Direkte Widerrede, polyphon, aus mindestens sieben Mädchenmündern: Die Frau soundso habe doch gesagt, man solle singen. Lehrerin zwei stutzte kurz, ging weiter. Lehrerin eins kam zurück, brüllte: "Wer hat behauptet, ich hätte gesagt..." "Aber wir brauchen doch den Beat!" "Beat! Den macht ihr doch selber!"Lehrerin eins, angegrautes Haar, begann zu klatschen, kreiste mit den Hüften. Das ließen die Schüler gerade noch durchgehen. Doch dann rief sie: "Hey, kennt ihr dieses Faschingslied? Lalala am Rhein oder so ähnlich." Auf einen Schlag war es still. So richtig. Was-will-die-Olle-denn?-Blicke. "Hääää?", stieß eine Schülerin hervor. Im Hintergrund schallte aus dem Handy: "Baabyy, I like your style."

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