Süddeutsche Zeitung

Mitten in der Region:Was sind schon Empfehlungen

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Freiheit ist vielen wichtiger als Gesundheit - das mit der Eigenverantwortung hat noch nie so richtig geklappt.

Glosse von Johann Kirchberger

Jetzt ist diese leidige Corona-Pandemie aber endgültig vorbei, oder? Jetzt, nachdem sogar Ministerpräsident Markus Söder das Team Vorsicht verlassen und sich dieser von einer kleinen gelben Partei angeführten Mannschaft der Freiheitskämpfer angeschlossen hat, jetzt dürfen wir wieder nach Herzenslust feiern. Oans, zwoa, gsuffa. Ja, ein bisschen aufpassen sollen wir schon noch, sagt der Söder, aber ob man jetzt eine Maske in Innenräumen trägt oder nicht, das ist jedem Einzelnen überlassen. Nur in der S-Bahn, in Arztpraxen, in Altenheimen und vor allem natürlich im Landratsamt und im Rathaus, da muss man sich immer noch vermummen. Abstand halten soll man zu den Bediensteten in den Behörden auch, damit sich niemand ansteckt, die Bevölkerung muss ja anständig verwaltet werden.

Aber dort, wo gefeiert wird, da braucht es keine Masken mehr. Es wird wieder eng hergehen: Dicht gedrängt wird man in den Kneipen sitzen, ohne Maske natürlich, wie soll man auch sonst trinken. Jetzt wird den Leuten ja nichts mehr vorgeschrieben, jetzt gilt die Eigenverantwortung. Die hat zwar noch nie funktioniert, weil der Mensch - zumindest die Mehrheit - so gestrickt ist, dass er alles macht, was nicht ausdrücklich verboten ist, aber was soll's. Jetzt darf man wieder, und dann mach ich das auch.

Gesundheitspolitiker empfehlen zwar, in Innenräumen weiterhin Maske zu tragen, aber was sind schon Empfehlungen? Virologen warnen vor einer neuerlichen Virus-Welle im Herbst, aber Virologen, vor allem unser Gesundheitsminister, sind ja Panikmacher und Angsthasen. Auch in Supermärkten verzichtet schon mehr als die Hälfte auf Masken, weil sie nicht mehr explizit vorgeschrieben sind. Sich und andere schützen, wozu?

Freiheit ist wichtiger als Gesundheit. Wir leben im Jetzt, was kümmert es uns da, was im Herbst sein könnte. Na gut, etwa ein Drittel der Landkreisbevölkerung hat sich jetzt schon mit dem Virus infiziert, aber nur 167 sind daran gestorben. Wer es überlebt hat, gilt als genesen, weshalb es immer noch Menschen im Landkreis gibt, die ungeimpft sind und sich wohl dabei fühlen. Es gibt ja auch keine Pflicht dazu, sich impfen zu lassen. Und wenn neue Virus-Mutationen auftauchen, Menschen wieder in großer Zahl schwer erkranken oder gar sterben? Dann haben wir immer noch das Oktoberfest, da sitzen dann so viele Leute ganz eng zusammen, dass das Virus total verwirrt ist und gar nicht mehr weiß, wen es befallen soll.

Wer sich fragt, warum jetzt plötzlich alle Corona-Beschränkungen aufgehoben wurden, der bekommt - wie immer - die logische Antwort von Hubert Aiwanger: "Weil die Menschen das wollen und wir ja nicht immer depressiv herumrennen können". Wer will einem Mann, der ein halbes Hendl in der Hand hat und an einem 15 Meter langen Biertisch sitzt, da schon widersprechen?

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Quelle:
SZ vom 10.05.2022
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