Mitten in der Region:Turbo in der Kniebundhose

In Zeiten moderner Technik sollte man eines nicht tun: alte Menschen unterschätzen

Von ALEXANDER KAPPEN

An einem sonnigen Herbsttag an einer Fußgängerampel. Ein älterer, ach was, ein alter, oder mal ehrlich, ein ganz alter Mann fällt auf. Käppi, Windjacke, gestrickte Trachtenstrümpfe, schwarze Haferlschuhe und dazu - eine grüne Kniebundhose aus Cord. Dass es die überhaupt noch gibt. Ein Relikt aus einer anderen Zeit, aus den Tagen, als E-Mails noch mit Brieftauben verschickt wurden. Kein Wunder, der Mann, der die Hose trägt, ist ohne Übertreibung und seriös geschätzt bestimmt so an die 130 Jahre alt. Noch kreisen die Gedanken darum, wie dieses Verkehrshindernis beim Überqueren der Straße am besten zu überholen ist, da schaltet die Ampel auf Grün - und das Schicksal nimmt seinen Lauf.

Der ältere, alte, ganz alte Mann zieht strammen Schrittes davon, beim Versuch, sich an seine Fersen zu heften, stößt man in den roten Drehzahlbereich vor und läuft Gefahr, mit seiner Gesundheit zu spielen. Von radelnden Rentnern ist man das ja gewohnt: Die sind auch oft so nah und dann doch ganz fern, weil sie irgendwo einen leistungsstarken Elektromotor in ihrem frisierten Pedelec versteckt haben und flugs nur noch als kleiner Punkt am Horizont zu sehen sind. Aber bei diesem Fußgänger kann man - so kein Turboaggregat in seiner Kniebundhose verbaut ist - beim besten Willen keine elektrischen Hilfsmittel erkennen, die ihm die Kraft der zwei Herzen verleihen. Weiß der Geier, was der gute Mann gefrühstückt hat, jedenfalls hat er den Tiger im Tank. Wahrscheinlich ist er einer dieser konditionsbolzenden, wettergegerbten Hardcore-Alpinisten, die sich jedes Wochenende auf einen anderen 3000er hinauf wuchten, um dann beim Kavaliersstart an der Fußgängerampel allen eine lange Nase zu drehen. Als er so davon zieht, schwört man sich: Morgen starte ich mit dem Fitnesstraining. Oder kaufe mir zumindest eine grüne Kniebundhose.

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