Sticker sammeln macht Spaß - das war schon früher mit den Kindern aus der Nachbarschaft so. Von elf hatten gewiss zehn ein eigenes Album, jedes davon ein Unikat. Auf manchen waren Einhörner, auf anderen Papageien oder die schöne Barbie. Es gab Sticker als glitzernde Delfine oder kleine Koalas, die mit einem samtigen Stoff überzogen waren. Für einen Vorschulbub waren die Sticker wie kleine Kunstwerke - bis sie eines Tages schlagartig uncool wurden. Auf dem rauen Pausenhofpflaster war Fußball angesagt! Wer nicht verprügelt werden wollte, der sammelte jetzt besser Abziehbilder von Lothar Matthäus als kleine, niedliche Glitzerkaninchen.
Spätestens als pubertierender Bengel war die Freude am Stickern völlig dahin - sie kam erst wieder, als die Corona-Krise nun alles veränderte. Der längst ausgeflogene Junggeselle lebt die meiste Zeit wieder in seiner alten vertrauten Nachbarschaft, weil er in der Krise die Landluft dem Stadtleben vorzieht. Er geht für die Eltern, die besonderen Schutz vor dem Virus brauchen, regelmäßig zum Einkaufen. Und so kam er wieder zum Stickern.
Neben Produkten wie Hafermilch oder Trockenhefe, die er sonst nicht einmal wahrgenommen hätte, sammelt der Sohn jetzt nämlich auch Treuepunkte, weil es die Eltern so wollen. Sie werden gesammelt und fein säuberlich in ein Sticker-Album mit Bratpfannen geklebt, bis 75 Stück beisammen sind. Wenn man früher auf die Frage "Sammeln Sie Treuepunkte?" vielsagend den Kopf geschüttelt und "Nein, danke" gestammelt hat, erwidert man jetzt fast schon flehentlich "Ja, bitte." In Wahrheit hat den Chef-Einkäufer der Ehrgeiz längst gepackt. War es früher der Anblick niedlicher Delfine, so ist es heute das triumphale Gefühl, eine angeblich 60 Euro teure Pfanne für 7,99 Euro zu bekommen. Ob der Deal wirklich so toll ist? Egal.
Denn dann passiert ohnehin Schreckliches. Viele Leute haben in der Krise viele Punkte gesammelt. Die Aktion, so liest man am Supermarkt, wird bis auf weiteres eingestellt. Der Bratpfannen-Hersteller komme mit der Produktion nicht mehr hinterher. Vielen Dank, Corona!