Mitten in der Region:Nicht zu hoch hinauf

Wenn ein Torwart Angst vor dem Ball hat und ein Installateur Angst vor dem Wasser, dann ist irgendetwas schief gelaufen.

Glosse von Alexandra Leuthner

Was zeichnet einen Fußballtorwart aus? Kurz mal an Manuel Neuer denken: Ja, natürlich, er muss eine gute Reaktionsfähigkeit besitzen und hervorragende Reflexe, heutzutage schadet es auch nicht, wenn er das Kader-Sprachtraining für Fußballprofis durchlaufen hat, weiß, wann er "mit breiter Brust", "auf dem Platz" und "haben wir uns belohnt" sagen muss. Laut Max Merkel, Trainerlegende bei den Sechzigern, dem Nürnberger Club und Rapid Wien muss ein guter Torwart außerdem eine Macke haben.

Eine entscheidende Qualität des Torhüters aber sollte bei all dem nicht vergessen werden: die Furchtlosigkeit. Jeder, der sich schon mal zwischen zwei dieser netzbespannten Pfosten gestellt hat, um beispielsweise die mit zunehmendem Alter immer kraftvolleren Schüsse des eigenen Nachwuchses abzuwehren, weiß, wovon hier die Rede ist. Angst ist etwas, das kein Tormann haben sollte.

Angst ist überhaupt so etwas, das selten einer brauchen kann, heutzutage zumindest. In alten Zeiten war sie mal nützlich, um vor einem Säbelzahntiger zu warnen. Den es aber bekanntermaßen nicht mehr gibt. Angst hilft weder dem Mitarbeiter vor dem Jahresgespräch beim Chef noch dem Zwölftklässler beim Mathe-Abitur oder dem Leidenden, der für eine Wurzelbehandlung zum Zahnarzt muss.

Doch es nützt nichts, ganz werden wir die Angst nicht los. Durchaus sinnvoll aber könnte es sein, sich nicht gerade einen Beruf zu suchen, der einen ständig damit konfrontiert, also Festredner werden zu wollen, wenn es einem besonders schwer fällt, vor Menschen zu sprechen oder Insektenforscher, wenn man es mit Arachnophobie zu tun hat. Bestimmt wären auch die Huber-Buam nicht halb so berühmt geworden, wenn ihnen jedes Mal an einem Überhang in mehreren hundert Metern in plötzlicher Erkenntnis ihrer Lage die Hände schweißnass und eiskalt werden würden.

Und so erscheint auch der Beruf des Abflussreinigers nicht eben ideal, wenn man Angst vor Wasser - und vor Höhe hat. Kein Witz, das gibt's. Er habe mit beidem ein Problem, erklärte neulich der zu Hilfe gerufene Experte, der den in schöner Regelmäßigkeit verstopften Küchenabfluss entleeren sollte, als er hörte, dass das Abflussrohr eine Öffnung hat, die direkt unter der Kellerdecke liegt und man über eine Leiter hochsteigen müsse.

Nun kommt das Wort Angst vom griechischen "agchein" und dem lateinischen "angere". Beides bedeutet übersetzt "würgen", "die Kehle zuschnüren" - was vielen ganz sicher beim Abseilen aus einer Steilwand passieren würde, oder wenn sie beim letzten Elfmeter in einem Champions-League-Finale zwischen den Pfosten stehen müssten. Dagegen ist so ein bisschen ekliges Brackwasser aus der Leitung doch eine Kleinigkeit.

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