Mitten in der Region:Komfortabel kutschieren

Wenn es um die Fortbewegung geht, war der Mensch schon immer erfinderisch. Jetzt erobern E-Roller die Straßen

Kolumne von Stefan Mühleisen

Die Geschichte der Verkehrsmittel ist eine Geschichte voller Missverständnisse. Immerzu wird behauptet, Antrieb der findigen Erfinder sei allein der Fortschritt in der Fortbewegung. Das ist natürlich ein Irrtum, den Fahrzeugentwicklern ging und geht es immer schon mehr ums Gefühl im Gefährt. In früheren Jahrhunderten wusste jedermann um das lausige Mobilitätskonzept einer rumpelnden Pferdekutsche; Kurfürst Max Emmanuel zum Beispiel war es ein Graus, sich beim Pendeln zwischen Schloss Schleißheim und Residenz durchschütteln zu lassen. Seine Majestät träumte von der freien Fahrt in einer venezianischen Gondel, mit einem singenden Gondoliere, auf einer Wasserstraße, die als Türkengraben in die Geschichte einging, ein Projekt, das aber wegen Wassermangels nie verwirklicht wurde.

Blieb also nur die Kutsche, wobei die Zeitgenossen schnell den sinnlichen Sinn des Herumkutschierens erkannten, sprich: den Fahrgastraum seinem Konstruktionszweck zuführten, als romantischer Rückzugsraum. Da war es freilich ein Skandal, als Carl Benz mit seinem Motorwagen durch München tuckerte, neben ihm seine Frau Bertha mit Sonnenschirm - ohne Dach. Von einer "großen Zahl athemlos nacheilender junger Leute", berichtete das Münchner Tageblatt.

Schnell setzte sich also der geschlossene Wagen durch, in dem man prima nebeneinander sitzen kann, nur die Charmebolzen pflegen die Tradition mit einem Cabrio bis heute. Wobei, in neuerer Zeit ist man da viel unverkrampfter. Das Fahrrad war und ist da zwar ein Rückschritt; es mag umweltfreundlich sein, für Kontaktfreudige ist es ein unbequemes Vehikel. Doch nun gibt es ja den E-Scooter, die Kutsche des modernen Paares, wie ein solches jüngst ganz ungeniert demonstrierte: Der Mann, entschlossen die Hände am Lenker, umschlungen von den Armen der Frau hinter ihm - so surrten sie, sichtlich in romantischer Stimmung, an einem Sommerabend durch die Straße. Ein bewegender Anblick, wie sich die Funktion eines neuen Verkehrsmittels immer wieder durchzusetzen vermag - auch wenn die beiden in der Einbahnstraße in der falschen Richtung unterwegs waren.

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