Süddeutsche Zeitung

Mitten in der Region:Der gewisse Touch

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Sogenannte Touch-Displays müssen berührt werden, damit ein Prozess in Gang kommt. Manchmal mit fatalen gesellschaftlichen Folgen

Kolumne von ERICH C. SETZWEIN

Jeder Mensch hinterlässt Fingerabdrücke. Einige bei der Kripo, viele auf ihren Smartphones und fast alle, wenn sie am Geldautomaten abheben oder am Bahnhof eine Streifenkarte ziehen. Berührungsempfindliche Bildschirme, sogenannte Touch-Displays, müssen berührt werden, damit ein Prozess in Gang kommt. Manchmal mit fatalen gesellschaftlichen Folgen.

Dass es keinen Fahrkartenschalter mehr gibt, daran haben sich Kunden gewöhnt. Der Personalabbau und das sinkende Dienstleistungsniveau geht nun in der Systemgastronomie weiter. Statt an der Theke eines Schnellrestaurants im Dialog mit den Angestellten sein Fastfood-Menü zusammenzustellen, muss nun auf großen Bildschirmen das ein und andere Bild gedrückt werden. Erst nach der bargeldlosen Zahlung gibt es die gar nicht mehr so schnelle Mahlzeit. Die Schlangen sind geblieben, nun halt vorm Bildschirm. Mitarbeiter des Burger-Braters müssen sich um Kunden kümmern, die schier am Verzweifeln sind.

In dieser smarten Bestellwelt werden sich wohl nur die durchsetzen, die clever und smart genug sind. Das Touch-Display wird dann zum Ausschlusskriterium, wenn Menschen, die nicht die Durchschnittsgröße haben, im Rollstuhl sitzen, schlecht oder gar nicht sehen oder ein sonstiges Handicap haben, weder die Zeichen oder Abbildungen erkennen oder sie einfach nicht erreichen. Robert Otto, Geschäftsführer des VDK-Regionalverbandes, hat kürzlich von Verena Bentele erzählt. Früher eine hervorragende Biathletin, war die Blinde in den vergangenen vier Jahren die Behindertenbeauftragte der Bundesregierung und steht seit Kurzem dem VdK in Deutschland vor. Bentele hatte ihm von ihrem Versuch berichtet, mit dem Lift zu fahren. Doch statt Tasten mit gravierten Stockwerksnummern und vielleicht der Blindenschrift zu spüren, habe sie nur ein Touch-Display vorgefunden. Und sei auf Hilfe angewiesen gewesen. So clever ist die Technologie dann doch nicht, dass sie das ermöglicht, was der Inklusionsgedanke meint: die uneingeschränkte Teilhabe jedes Menschen am gesellschaftlichen Leben.

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Quelle:
SZ vom 18.07.2018
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