Süddeutsche Zeitung

Mitten in der Region:Der Feind unter meiner Motorhaube

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Kaum regt sich der Frühling, wird auch ein kleiner Gummifetischist wieder aktiv: der Marder. Ein sympathischer Bursche, den trotzdem fast niemand mag. Aber warum eigentlich nicht?

Glosse von Peter Haacke

Er ist wieder da! Nein, nicht der österreichische Gröfaz, der größte Feldherr aller Zeiten aus der Filmkomödie. Sondern: der Marder! An einem Morgen sind da kürzlich nämlich Fußspuren und eine schmierig-schleimiges Würstlein auf dem Dach des liebevoll gehegten Kleinwagens aus deutscher Großserienproduktion. Die Herkunft der Kotspur - dunkelbraun mit Resten von Obstkörnern, Knochen, Fell und Federn, die Enden spitz und leicht gedreht - ist eindeutig. Der Übeltäter, ein putziger Bursche aus der Familie der hundeartigen Raubtiere, wagt sich zum Frühlingsstart wieder heraus - und dürfte sich für manch Hauseigentümer oder Autobesitzer in den nächsten Wochen noch zu einem nervigen Gesellen entwickeln.

Dabei könnte man ihn eigentlich richtig gern haben, den Marder. Doch was soll man schon von einem ungebeten Mitbewohner halten, der ungefragt Eier, tote Mäuse, Vogelkadaver und anderes Aas ins Haus schleppt, seine Wohnung als Toilette missbraucht und nachts randaliert? Im Gegensatz zu seinen Artverwandten Iltis, Wiesel, Dachs und Otter hat der kleine, pelzige Kletterkünstler dummerweise keinerlei Probleme mit der Menschheit und zwängt sich selbst durch kleinste Lücken. Und bei Autofahrern, die ihr Vehikel im Freien parken, entflammt wieder eine alte Hassliebe. Denn der Marder mit seinen messerscharfen Zähnen erweist sich als wahrer Gummifetischist, der wahllos Zünd- und Sensorkabel, Kühl- und Turboschläuche, Achsmanschetten, Dämmstoffe und Antennen zerbeißt. Nicht einmal vor E-Autos schreckt er zurück. Hat er "sein" Auto einmal gefunden, rutscht er fröhlich und völlig ungeniert aus purem Spaß auf seinem Lieblingsgefährt herum - kein Scherz.

Längst kennt die Wissenschaft die Gründe für dieses Verhalten: Reviermarkierung. Tapsen und Schlieren auf der Frontscheibe sind indes noch das geringste Übel. Hässlicher wird es, wenn er im Motorinnenraum wütet. Laut ADAC erfassen die Versicherungen mehr als 200 000 Marderschäden pro Jahr mit Kosten im dreistelligen Millionenbereich. Statistiken zufolge sollen die Automarken BMW, VW, Mercedes, Audi und Skoda besonders beliebt sein - im Gegensatz zu Toyota, Suzuki, Renault, Ford oder Diesel-Fahrzeugen. Für Autofahrer kann Marderbefall teuer und gefährlich werden - wenn nämlich angeknabberte Gummimanschetten Achsen und Antrieb schädigen, die Lenkung nicht mehr funktioniert, der Motor überhitzt oder gar nicht erst läuft.

Doch was tun? Der Duft von Artgenossen lockt den Marder an, der Geruch größerer Tiere schreckt ihn angeblich. Doch Hunde-, Katzen- oder Menschenhaare im Motorraum helfen nur sehr bedingt, ebenso wenig Urinduschen, Abwehrduftstoffe oder WC-Steine. Werkstätten empfehlen den Einbau von Elektroschockanlagen oder Ultraschall-Lautsprechern, Umweltfreunde setzen auf drahtbespannte Holzrahmen. Der Stein der Weisen ist längst nicht gefunden. Vielleicht hilft Natur gegen Natur: Löwenkot vom Circus Krone? Babywindeln? Wasabi, Chilisauce, Knoblauch oder Bockshornklee?

Wie auch immer: Wer einen Tipp hat, darf sich gern beim Autor dieser Zeilen melden. Nur eines muss absolut klar sein: Bitte tun Sie ihm keinesfalls was an, dem Marder. Der kleine bissige Bursche steht nämlich unter Naturschutz.

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SZ vom 13.03.2023
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