Mitten in der Region:Angeklagter führt alle vor

61-Jähriger taucht nicht zur Verhandlung auf und hält trotzdem die Prozessbeteiligten stundenlang auf Trab

Von Alexander Kappen

In knapp zwei Stunden kann eine Menge passieren. Das ist über den Daumen gepeilt ja immerhin ein Viertel-Arbeitstag. Man kann etwa im Büro einen Berg Akten wegarbeiten. Oder als Fußballer ein komplettes Spiel inklusive Pause und reichlich Nachspielzeit absolvieren. Oder als Angeklagter rund ein Dutzend Richter, Gerichtsmitarbeiter, Staatsanwälte, Polizisten, Zeugen und Journalisten beschäftigen - ohne dass in der Verhandlung dann auch nur annähernd was rum kommt.

So machte es am Donnerstag ein 61-Jähriger, der sich vor dem Freisinger Amtsgericht eigentlich wegen Kennzeichenmissbrauchs verantworten sollte. Was sich dahinter genau verbarg, blieb freilich unklar, weil die Anklageschrift erst gar nicht verlesen wurde. Was dafür fehlte, war nämlich: der Angeklagte. Der, bereits gerichtsbekannt, war nicht zum Termin erschienen. Was aber nicht heißen sollte, dass er den ganzen Laden nicht trotzdem fast zwei Stunden lang auf Trab hielt.

Die Richterin beabsichtigte, den Angeklagten von der Polizei vorführen lassen. Allerdings wollte das wohl überlegt und gut vorbereitet sein. So erkundigte sie sich bei den als Zeugen geladenen Polizisten, die mit dem Angeklagten schon in der Vergangenheit zu tun hatten, ob dieser wohl die Tür öffne, wenn man klingele. Antwort: ziemlich sicher nicht. Die Devise lautete deshalb: Ganz oder gar nicht. Soll heißen: Ein Vorführbefehl, so ein Polizist, mache wohl nur Sinn, wenn man auch die Tür aufbrechen dürfe. Und so strickte man an einer Formulierung für den Vorführbefehl, wofür die Richterin mehrmals den Raum verließ und die Polizisten telefonisch Kontakt zu einer Streife hielten, die vor dem Wohnhaus des Angeklagten bereits die Stellung hielt. Die Lage dort: wenig erhellend. Die Rollläden der Wohnung, so die Polizisten, waren heruntergelassen, auf das Klingeln reagierte der Angeklagte nicht. Als die Richterin dann den Vorführbefehl ausgedruckt hatte, übermittelte die Streife vor dem Wohnhaus die Aussage einer Nachbarin, wonach sie den der 61-Jährigen schon zwei, drei Wochen nicht mehr gesehen habe. Die Tür eintreten, wenn nachher doch keiner da ist? Eher keine so gute Idee. Zumal von einer Zeugin der Hinweis kam, wohin sich der Angeklagte gerne zurückzieht, "wenn Gefahr in Verzug" ist. Also: Vorführbefehl wieder aufgehoben - und durch einen Haftbefehl ersetzt. Dann bis zum nächsten Mal . . .

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