Mitten im AmtsgerichtSchulstunde fürs Leben

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Es gibt Situationen, da muss man lernen zu warten, auch wenn man auf etwas mehr Spannung gehofft hat.

Glosse von Gerhard Wilhelm

Schon der römische Philosoph Seneca sagte "Non scholae, sed vitae discimus - Nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen wir!". Allerdings verlief jüngst die Schulstunde für rund 40 Schüler des Korbinian-Aigner-Gymnasiums im Amtsgericht Erding dann doch anders als geplant, erhofft - so mit Sex and Crime. Immerhin gab es ein paar Lektionen. Wobei jeder der Schüler wohl hoffte, dass er sich diese Lektionen für das Leben nicht zu merken braucht, weil er eh nie (und wenn, dann hoffentlich nur als Zeuge) vor Gericht stehen wird. Es sei denn, er studiert vielleicht Jura.

Lektion eins: Ohne den Angeklagten gibt es auch keine Verhandlung. Lektion zwei: Wenn der Richter den Gerichtssaal betritt, muss man aufstehen. Wobei Lektion eins eigentlich erst später folgte.

Keine Rededuelle wie in US-Krimiserien

Doch zum Anfang: In der Verhandlung um 9 Uhr früh im Saal eins des Amtsgerichts Erding sollte es um Körperverletzung gehen. Neben den Schülern waren alle da, die man für eine Verhandlung benötigt, von der Staatsanwältin über die Protokollführerin und den Richter bis hin zu vier Zeugen. Und kaum war die Verhandlung von Amtsrichter Björn Schindler eröffnet, gab es die nächste Lektion: Im Gegensatz zu Verhandlungen in US-Krimiserien oder deutschen Quasi-Reality-Gerichtssendungen muss man im Gericht öfter mal einfach nur warten. 15 Minuten. So viel Zeit wird einem Angeklagten eingeräumt, damit er doch noch erscheinen kann. Total langweilig das Ganze. Keinerlei Spannung.

Nächste Lektion: Eine Gerichtsverhandlung hat viel mit der Einhaltung von Rechtsformen zu tun. Wieder nichts mit packenden Rededuellen zwischen Staatsanwaltschaft und Verteidigung, sondern langweilig. Der erste Schüler packte sein Handy aus, um darauf zu tippen - und handelte sich prompt einen Rüffel vom Lehrer ein. Die Frage, die den Amtsrichter umtrieb, ob der Angeklagte tatsächlich vom Gerichtstermin wusste, war dann doch weniger interessant.

Amtsrichter und Staatsanwältin kamen letztlich zu dem Schluss, dass man nicht zu 100 Prozent sagen kann, dass er vom Termin wusste. Also ist nichts mit unentschuldigter Abwesenheit. Zerplatzt die Gedankenblase so mancher Schüler, in der der Angeklagte in Handschellen von der Polizei vor Gericht gezerrt wird. Es wurde ein neuer Gerichtstermin angesetzt. So ist das nun mal im Leben. Es kommt immer anders, als man denkt.

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