Mitten im Zug:Alles Ansichtssache

Teenager-Kinder sind mitunter etwas abweisend. Das kann aber auch sein Gutes haben

Kolumne von Regina Bluhme

Wie schön, da hat sich die Teenagertochter tatsächlich einen Samstag freischaufeln können für einen gemeinsamen Ausflug. Die Mutter freut sich schon auf die Zugfahrt, endlich ist mal wieder Zeit für einen ausgedehnten Ratsch. Aber kaum hat das Töchterlein Platz genommen, zückt es das Handy, stöpselt sich Kopfhörer ins Ohr und tippt geheime Botschaften in das Gerät, blind und taub für die Umwelt und für die Mutter gegenüber sowieso. Die erfahrene Teenager-Mama weiß, dass alle Versuche der Kontaktaufnahme entweder eisern ignoriert oder mit einem genervten Todesblick bestraft werden. Leicht beleidigt wendet sich die Mutter der Sitzgruppe nebenan zu. Ein junges Paar mit einer entzückenden Zweijährigen hat dort Platz genommen. Anna-Maria heißt die Kleine und sie hätte jetzt gerne einen Keks. Lächelnd reicht ihr die Mama den weichen Biskuit, der sich kurz darauf in einen breiigen Schleim verwandelt, und über das weiße Kinder T-Shirt hinunter auf den Boden rinnt. Während die Mama noch nach dem Feuchttuch kramt, wandert Anna-Maria durch den Gang. Papa springt auf und holt sie zurück, was die Kleine mit lautem Protest kommentiert. Sie will jetzt das Buch mit dem Maulwurf anschauen, aber kaum hat Papa zum Umblättern angesetzt, will sie zur Mama. Die hat nämlich die Trinkflasche und zudem einen guten Geruchssinn: Die Windeln müssen dringend gewechselt werden. Jetzt kramt Papa hektisch in seinem Rucksack, dann eilt die Frau mit dem plärrenden Kind und einer frischen Windel auf die Zugtoilette, während der Mann versucht, den Kekszement vom Boden zu kratzen. Was macht eigentlich die eigene Tochter? Zufrieden lächelnd starrt sie in ihr Handy, festgefroren auf ihrem Platz, blind und taub für die Umwelt. Gutes Kind!

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: