Mitten im Biergarten:Auf Abstand zu den Dimpfeln

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Auf einer Bierbank unterm Kastanienbaum sitzend, eine Mass in der Hand, die Abendsonne im Gesicht und dabei philosophieren über das Leben - es könnte alles so einfach sein

Kolumne von Jacqueline Lang

Normalerweise haben an einem Biertisch locker zehn Herzensmenschen Platz: Je enger man zusammenrückt und je später der Abend desto gemütlicher wird es. Corona-bedingt muss die Biergartensaison allerdings nicht nur mit reichlich Verspätung, sondern darf auch nur im kleinsten Kreise eingeläutet werden. Maximal zwei Haushalte dürfen gemeinsam mit je einer Mass anstoßen. Vorgeschrieben ist außerdem das Tragen einer Maske beim Gang von der Bierbank zum Toilettenhäuschen, die Tische sind mit reichlich Abstand zueinander aufgestellt und Schluss ist zumindest in dieser Woche spätestens um 20 Uhr. Ob es unter solcherlei widrigen Umständen überhaupt gemütlich, ja bierselig werden kann?

Mit leichtem Widerstreben stellt man sich also ans Ende der Schlange am Eingang. Eine freundliche Dame notiert die Namen und die Telefonnummer, eine andere reicht Desinfektionsmittel, schnell noch mit der Maske Mund und Nase bedeckt und schon geht es hinein ins Biervergnügen. Und, das muss man zugeben, die Einlasskontrolle hat auch ihr Gutes. So kann man immerhin sicher sein, noch einen freien Platz zu finden - immerhin sind die Plätze ja genau abgezählt. Was außerdem positiv auffällt? Durch die weiten Abstände gibt es keine Männer - und ja, es sind tatsächlich ausschließlich Männer -, die neben ihrer eigenen Bierbank auch noch die des Hintermannes oder der Hinterfrau für sich beanspruchen. Selbstverständlich würde man natürlich sofort das Virus gegen einen dieser Bierdimpfel tauschen, aber aussuchen kann man sich das ja leider nicht.

Tatsächlich dauert es dann aber gar nicht allzu lange, bis man beinahe vergisst, dass dieses furchtbare Virus alle Regeln des gesellschaftlichen Lebens außer Kraft setzt. Auf einer Bierbank unterm Kastanienbaum sitzend, eine Mass in der Hand, die Abendsonne im Gesicht und dabei philosophieren über den Sinn und Unsinn des Lebens - es könnte alles so einfach sein. Die Realität ist natürlich nach einem solchen Abend keine andere, aber nach ein, zwei Mass ist sie doch immerhin um einiges leichter zu ertragen.

© SZ vom 22.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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