Süddeutsche Zeitung

Mitten im Alltag:Quarkbällchen? Ja, bitte

In diesen Zeiten Sonderangebote anzubieten, gleicht fast einem Wunder.

Glosse von Linus Freymark

Es ist ein verlockendes Angebot, das einem die Bäckerin des Vertrauens da unterbreitet: Zur belegten Semmel würde sie einem ein Quarkbällchen umsonst dazu geben. Man habe da gerade eine Aktion. Kann man eigentlich nicht ablehnen, warum sollte man auch? Nun ja, sagt die Bäckerin, manche Kunden würden das tatsächlich nicht wollen. Ohnehin sei derzeit offenbar nicht die Zeit für Sonderangebote: Vorhin erst habe einer zwei Butterbrezen gekauft, im Doppelpack gibt es die gerade für 2,50 Euro statt 3,40 Euro. Und jetzt kommt's: Der Mann hat das Sonderangebot abgelehnt.

Beim Biss ins Gratis-Quarkbällchen kommen angesichts dieser Schnäppchen-Skepsis Fragen auf. Ist es schlichte Blödheit oder barmherzige Großzügigkeit, die den Kunden zu seiner Reaktion verleitet haben? Na klar, könnte man jetzt sagen, der reiche Starnberger, der hat's ja. Aber fernab des Klischees wird's interessant: Die Zeiten waren schließlich für alle schon mal besser, auch für den edlen Spender, der ohne Not auf knapp einen Euro, also fast zwei Mark (!), verzichtet hat. 90 Cent, das ist ja ein halber Liter Benzin - ah, Halt, doch nicht ganz.

Aber vielleicht liegt die Erklärung darin, und der Verzicht war womöglich als Zulage für die Bäckerei gedacht? Die Energiepreise setzen bekanntlich auch dieser Branche zu. Und wer weiß, wie sich die Getreidepreise noch entwickeln, nachdem die "Kornkammer Europas", also die Ukraine, gerade dem Erdboden gleichgemacht wird. In diesen Zeiten überhaupt Sonderangebote anzubieten, gleicht ja einem Wunder. Aber dass sie nun nicht mal mehr angenommen werden, ist wirklich ein Hammer.

Deutschland, das Land der Sparer und Wahrer des eigenen Wohlstands, steckt offenbar nicht nur in einer Wirtschafts-, sondern obendrein auch noch in einer Identitätskrise. Jene Konsumgesellschaft, die früher beim Teleshopping erst zugeschlagen hat, wenn es zum Staubsaugerroboter zwei, nein drei, ach-komm-ich-werd-verrückt, vier Edelstahlmesser gratis dazu gab, lehnt jetzt Butterbrezen-Rabatte und Gratis-Quarkbällchen ab. Letzteres ist definitiv ein Fehler.

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Quelle:
SZ vom 26.04.2022
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