Literatur in Dorfen:Heimatgold

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Andreas Lechner liest aus seinem Roman über seinen Großvater Josef Straßberger, der einst der stärkste Mann der Welt war und in München als Gastronom ein Vermögen machte, bis die Nazis kamen

Von Florian Tempel, Dorfen

Birgitt Binder war schon klar, dass es nicht einfach werden würde. Es ist ein kleines Wagnis eine Lesung mit einem nicht so super bekannten Autor in Dorfen zu veranstalten. Doch wer den "Heimatgold"-Abend mit Andreas Lechner verpasst, der verpasst wirklich etwas. Andreas Lechner hat erstens eine Wahnsinns-Geschichte über seinen Großvater, den einstmals stärksten Bayern der Welt, geschrieben. Zweitens ist Andreas Lechner eben nicht nur ein Autor, sondern auch ein Performer, der nicht nur am Pult sitzt und liest, sondern es versteht, aus einer Lesung ein Erlebnis zu machen. Er ist ein so vielseitiger Künstler, dass man lange suchen müsste, um einen ähnlichen zu finden. Muss man aber nicht, denn er kommt ja selbst. Die Musikerin Maria Hafner und der Musiker Florian Burgmayr begleiten ihn.

Andreas Lechner wuchs in München rund ums Sendlinger Tor auf. Seine erste Leidenschaft galt der Musik. Dem Kontrabass-Studium am Richard-Strauss-Konservatorium folgten die Gründung der legendären Musikkabarettgruppe Guglhupfa. Bei Guglhupfa spielte Lechner unter anderem zusammen mit dem bayerischen Folk- und Weltmusiker Rudi Zapf und Karl Well, einem der drei W ellbrüder aus dem Biermoos. Er feierte auch einen frühen Erfolg mit einer Opernkomposition für die Münchener Biennale für neues Musiktheater, damals kuratiert von Hans Werner Henze. In den 1980er Jahren trat Lechner deutschlandweit unter anderem mit Dieter Hildebrandt und Otto Grünmandl auf. Und natürlich war er auch immer wieder Gast in Birgitt Binders legendärer Dorfener Kulturkneipe "Soafa". Als Schauspieler wirkte er unter anderem in Filmen von Josef Bierbichler und Herbert Achternbusch mit. Außerdem war er selbst als Regisseur und Produzent tätig. Er drehte Low-Budgetfilme mit jugendlichen Laiendarstellern aus dem Hasenbergl. Und als Autor war er 2009 Stipendiat in Pacific Palisades in der Villa Aurora, dem ehemaligen Wohnhaus von Lion Feuchtwanger. Und da, in der Nähe von Los Angeles, war Andreas Lechner genau dort, wo auch schon sein Großvater Josef Straßberger war.

Eigentlich wollte Andreas Lechner einen Film über seinen Großvater drehen, der bei den Olympischen Spielen 1928 in Los Angeles die Goldmedaille im Gewichtheben gewann. Daraus wurde freilich bis heute nichts. Doch da das Leben von Josef Straßberger so schillernd, bunt uns faszinierend ist, musste es unbedingt erzählt werden. Also hat Anderas Lechner einen Roman mit 288 Seiten über ihn geschrieben: "Heimatgold". Der Roman ist nicht nur eine Familienangelegenheit. Nebenbei entwirft Lechner ein Panorama Münchens zwischen den Weltkriegen bis in die 1950er Jahre.

SZ-Autor Hans Kratzer hat Josef Straßberger vor drei Jahren einen großen Artikel gewidmet, als Andreas Lechner gerade mittendrin im Roman Schreiben war. Straßberger bewunderte schon als Bub auf Jahrmärkten und Volksfesten die starken Männer, die beim Steinheben ihre Kräfte maßen. Im Heuboden auf dem elterlichen Hof eiferte er ihnen nach und richtete sich dort einen Kraftraum ein. Als er später nach München ging, schloss er sich den Hebern des TSV 1860 München an. 1928 in Antwerpen war Straßberger der erste Bayer, der Gold bei Olympischen Spielen gewann. Nach dem Olympiasieg wurde er in München frenetisch empfangen. Er war ein Berg von einem Mann, gwampert und rund wie ein Wirt und Metzger, der er ja auch war. Er hatte damals ein Wirtshaus mit hauseigener Metzgerei in der Münchner Schützenstraße, das zum Treffpunkt der Sportwelt wurde.

Welch eine schillernde Figur Straßberger war, verdeutlicht eine Episode von 1932: Zu den Olympischen Spielen in Los Angeles hatte sich Straßberger ein Fass Bier mitgenommen, das als Behältnis für Massage-Öl etikettiert war. In den USA herrschte damals striktes Alkoholverbot, Straßberger wollte das Fass schmuggeln. Auf der Zugfahrt nach Los Angeles verschwand es allerdings. Wie Zeitzeugen später berichteten, habe Straßberger wie ein Kind geweint. Ohne sein gewohntes Stärkungsmittel holte er nur die Bronzemedaille. Lechner wurde noch einmal Weltmeister, an Olympia 1936 in Berlin konnte er aber nicht mehr teilnehmen. Seine Karriere als Gewichtheber war beendet, aber als Gastronom blieb er auf Erfolgskurs. Im Februar 1945 wurde dann sein Hotel in der Dachauer Straße von einer Brandbombe zerstört. Drei Tage lang, so erzählt es Andreas Lechner, habe sein Großvater in den rauchenden Trümmern und in der Asche nach seiner Goldmedaille gesucht, die ihm so viel bedeutet hat - ohne Erfolg.

"Heimatgold" , Lesung mit Musik mit Andreas Lechner, Maria Hafner und Florian Burgmayr, Sonntag, 27. Oktober, 19 Uhr, Jakobmayer, Vorverkauf bei Ticket Treff Dorfen, Tel. 08081/1393, www.jakobmayer.de und www.muenchenticket.de.

© SZ vom 17.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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