Lernstress:Pausenloses Pauken

Zunehmend mehr Schüler müssen während der Sommerferien Nachhilfestunden nehmen. Schulpsychologen und Lehrerverbände kritisieren den andauernden Leistungsdruck

Von Nadja Gabrych, Erding

Immer mehr Schüler nehmen in den Sommerferien Nachhilfe. Die Nachfrage nach Auffrischungskursen und Fördermöglichkeiten während der vermeintlich lernfreien Zeit steigt, das bestätigen Nachhilfeinstitute in Erding. Treibende Kraft seien die Eltern, vor allem wenn es um den Übertritt ihres Nachwuchses aufs Gymnasium geht. Zunehmender Leistungsdruck und die Angst, das nächste Schuljahr nicht zu schaffen, sind weitere Gründe.

Sommerferien stehen eigentlich für Freiheit und Baden gehen, Ausschlafen und Nichtstun. Doch nicht alle Kinder genießen sechs Wochen die Ferien. Der Studienkreis Erding und die Volkshochschule (VHS) bieten für den gesamten Ferienzeitraum Kurse an, und sie werden auch angenommen. Laut Friedericke Ostwald vom Studienkreis steigt die Nachfrage seit einigen Jahren deutlich an, "in Bayern von 2016 auf 2017 um 42 Prozent". Als Grund sieht sie zum einen das Engagement der Schüler. "Viele sehen heutzutage einen Sinn darin, in den Ferien etwas zu tun." Zudem setze sich die Erkenntnis durch, "dass eine Nicht-Lern-Lücke von sechs bis acht Wochen gedächtnis- und lernpsychologisch extrem kontraproduktiv ist", sagt Ostwald.

Während der Studienkreis Ferienkurse für alle Klassenstufen anbietet, gibt es an der Volkshochschule laut Geschäftsführer Claus Lüdenbach "aus ethischen Gründen" keine Kurse für Grundschüler, auch wenn immer wieder danach gefragt werde. Eine "definitive Zunahme" für die Ferienkurse gibt es trotzdem. Knapp zehn Prozent mehr Kurse und ein Anstieg der Anmeldezahlen von 141 in 2016 auf 156 in 2017 seien zu verzeichnen gewesen. In diesem Jahr hätten sich laut Lüdenbach bereits 108 Schüler angemeldet, und es werden noch mehr. Lüdenbach rechnet mit einer weiteren Steigerung.

Ein Auffrischungsprogramm bietet die Schülerhilfe Erding nur in der letzten Ferienwoche an. Für Schüler, die im September Nachprüfungen schreiben, werden Ausnahmen gemacht. Manuela Schachtner, Geschäftsleiterin von mehreren Standorten im Großraum München, sagt, dass vor allem "viele Grundschüler gerne Ferienkurse hätten". Das könne man aber aufgrund von Personalmangel nicht anbieten. Die Kinder bräuchten aber "auch ein bisschen Pause, vor allem bei der Hitze". Das Abacus Nachhilfeinstitut in Ottenhofen bietet auf Anfrage in den Ferien Nachhilfe. Leiterin Daniela Meingast sagt, dass die Eltern ihre Kinder oft motivieren würden, in den Sommerferien zur Nachhilfe zu gehen. Die Kinder hätten "in den Sommerferien generell aber weniger Lust".

Laut Hans-Jonas Röthlein, Vorsitzender des Landesverbands bayerischer Schulpsychologinnen und Schulpsychologen (LBSP) ist die Erholungszeit in den Ferien wichtig für das Gehirn, "um Lerninhalte konsolidieren zu können". Daher halte der LBSP nichts davon, "Schüler durchgehend in den Sommerferien in Nachhilfeinstitute zu stecken". In Ausnahmefällen, beispielsweise wenn Kinder aufgrund von Krankheit oder familiärer Probleme längere Zeit nicht am Unterricht teilnehmen konnten, sei ein Ferienkurs aber hilfreich. Für den Erfolg sei der Lernwille des Schülers ausschlaggebend. Ansonsten könnten "misserfolgsorientierte Schüler unter enormen Leistungsdruck geraten, der im schlimmsten Fall zu Prüfungs- und Leistungsversagensangst führen kann", so Röthlein. "Für eine gesunde Entwicklung, mental wie auch psychisch, ist es nicht richtig, die Kinder kontinuierlich einer Stresssituation auszusetzen".

Auch Michael Oberhofer, Vorsitzender des Kreisverbands des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands (BLLV), findet eine lernfreie Pause "besonders für Kinder sehr wichtig". Er vergleiche Schüler mit kleinen Arbeitnehmern, die genauso wie die großen "ein Recht auf zusammenhängenden Urlaub haben". Es sei für Kinder und deren Lernfortschritt ausschlaggebend, einen freien Kopf zu bekommen. Ohnehin meint Oberhofer, "die beste Schule ist die richtige Schule und der beste Lehrer ist der ausgebildete Lehrer".

Als "Armutszeugnis des bayerischen Schulsystems" bezeichnet Simone Fleischmann, Präsidentin des BLLV, den Nachhilfeboom. Früher habe es Nachhilfe in Krisensituationen gegeben, wenn die Schüler aufgrund familiärer oder persönlicher Umstände den Schulstoff nicht mehr ohne fremde Hilfe lernen konnten. Heute werde in den Sommerferien Mathe nachgeholt, damit das nächste Schuljahr überstanden werde, oder für die vierte Klasse vorgearbeitet. Grund sei der "steigende Leistungsdruck" und der "damit einhergehende Run auf die Gymnasien". Die Bildungsungerechtigkeit, die in Bayern eh immens sei, werde durch die Nachhilfe noch mehr verstärkt. Nur Eltern mit einem entsprechenden sozio-ökonomischen Hintergrund könnten sich Nachhilfe für ihre Kinder leisten.

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