Asylbewerber:Landrat wirft Flüchtlingen "Missbrauch" vor, weil sie Geld heimschicken

Objects Left By Migrants On The Hungarian Border

Ziel: Europa. Diesen Geldempfangsschein hat ein Syrer auf seiner Flucht im vergangenen Jahr in Ungarn hinterlassen.

(Foto: Matt Cardy/Getty)

Ein schwerwiegender Vorwurf des oberbayerischen CSU-Landrats Bayerstorfer. Was sagt das Gesetz?

Von Florian Tempel, Erding

Walid ist bereit, darüber zu reden. Nur sein richtiger Name soll bitte nicht genannt werden. Walid schickt Geld nach Hause, jeden Monat möglichst 100 Euro. Das Geld ist für seine drei Töchter bestimmt. Seine Mädchen sind zwei, zehn und 13 Jahre alt und leben bei seiner Frau und seinem Schwiegervater in Damaskus. "Es ist hart, das Geld zu sparen", sagt Walid, "aber es muss sein, sie benötigen es dringender als ich." Sie brauchen es, um Lebensmittel, Kleidung und Medizin zu kaufen. "Es reicht gerade so für das Notwendigste." Walid schickt Geld, damit seine Familie in Syrien überleben kann und nicht die gefährliche Flucht übers Meer nach Europa auf sich nehmen muss.

"Das ist Missbrauch", findet der Erdinger CSU-Landrat Martin Bayerstorfer. Für ihn sind Geldsendungen wie die von Walid ein Hauptargument, mit dem er die Einführung des umstrittenen Kommunal Passes rechtfertigt. Flüchtlinge sollen nicht Geld, das sie vom Staat bekommen, an ihre Familien ins Ausland schicken. Deswegen, sagte Bayerstorfer, sei das bargeldlose Kartensystem "genau das Richtige". Mit dem Kommunal Pass können Flüchtlinge wie mit einer EC-Karte bezahlen - abheben können sie damit nichts.

Missbrauch, das ist ein starker Vorwurf. Im Zusammenhang mit den Auslandsüberweisungen, die Bayerstorfer ein Dorn im Auge sind, kann der Begriff in unterschiedlicher Weise verstanden werden. Ist es ungesetzlich und illegal, wenn Flüchtlinge wie Walid Geld in ihre Heimatländer schicken? Oder ist es das zwar nicht, aber zumindest ein ungutes und allgemeinschädliches Verhalten?

Die Suche nach einer Antwort zur Rechtslage ist nicht einfach. Das Bundesjustizministerium erklärt sich in dieser Frage für nicht zuständig und verweist ans Innenministerium, das die Anfrage seinerseits ans Sozialministerium weiterleitet. Aber auch die dortige Pressestelle ist zunächst überfragt. Ob es rechtlich gesehen Missbrauch sei, wenn Flüchtlinge Geld nach Hause überweisen? Das habe noch niemand nachgefragt. Nach Rückfragen bei den Experten im Ministerium kommt schließlich eine klare Anwort: "Das stellt keinen Missbrauch dar."

In der deutschen Sozialgesetzgebung gelte "grundsätzlich das Budgetprinzip". Ob Sozialhilfeempfänger oder Asylbewerber - "die Leistungsberechtigten sind somit frei, zu wählen, für welche Posten sie das ihnen zustehende Geld einsetzen." Wenn sie "am Ende des Monats Geld übrig haben, so steht es ihnen frei, eine anderweitige Verwendung vorzunehmen, zu der auch eine Überweisung ins Ausland an Familienangehörige gehören kann".

Problematisch wäre es nur, wenn Flüchtlinge wegen eines Geldtransfers selbst nicht mehr genügend Geld hätten und zum Sozialamt kämen, um einen Nachschlag zu beantragen. Das sei jedoch nur eine theoretische Überlegung, heißt es aus dem Bundessozialministerium: "Fälle, in denen nach Verbrauch der Leistungen zusätzlich weitere Leistungen gefordert wurden, sind für den Bereich des Asylbewerberleistungsrechts bisher nicht bekannt."

Sozialleistungen? Spielen eigentlich keine Rolle

Aus einem ganz anderen Blickwinkel sieht die Frage Benjamin Schraven, Migrationsexperte am Deutschen Institut für Entwicklungspolitik in Bonn. Wenn Menschen wie Walid Geld nach Hause schickten, seien das doch für die Angehörigen offensichtlich "überlebenswichtige Geldtransfers". Zudem handle es sich bei den Überweisungen von Flüchtlingen an deren Familien doch nur um "relativ geringe Beträge". Daraus einen Missbrauchs-Vorwurf zu stricken, "fällt in die Kategorie aus einer Mücke einen Elefanten zu machen".

Thomas Liebig arbeitet in Paris bei der OECD, der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Liebig ist Leitender Ökonom der Abteilung für Internationale Migration. Er stellt zunächst eines klar: Wenn Migranten Geld nach Hause schicken, "dann stammt es im weit überwiegende Teil aus eigenem Arbeitsentgelt". Dagegen könne sicher niemand Einwände erheben. Liebig versteht aber sehr wohl, worauf der Erdinger Landrat mit seinem Missbrauchs-Vorwurf abzielt, der Flüchtlinge trifft, die ganz auf Sozialleistungen angewiesen sind: "Viele habe ja die Idee, dass sie wegen der Sozialleistungen kommen - es geht letztlich um die Anreize-Thematik."

440 Milliarden Dollar

So viel habe Migranten laut Zahlen der Weltbank weltweit im vergangenen Jahr in Entwicklungsländer überwiesen. Landrat Bayerstorfer wies am Montag im Kreistag auf entsprechende Presseberichte hin. Was er aber nicht sagte: In den Berichten steht auch, dass diese Geldtransfers in erster Linie positiv gesehen werden. Wenn Privatleute Geld an Angehörige verschickten, komme es dort an, wo es gebraucht werde. Die Weltbank sieht dabei einen Punkt kritisch: Anbieter von Bargeldtransfers wie Western Union oder Moneygram kassierten zu hohe Gebühren. Die Gebühren müssten deutlich gesenkt werden, um Sender und Empfänger zu entlasten.

In diesem Punkt, sagt Liebig, "ist die Forschung relativ klar". Es möge Ausnahmen geben, doch "die Sozialleistungen sind nicht der wesentliche Faktor" für Flüchtlinge, in ein bestimmtes Land zu kommen. Das sei durch mehrere Studien sehr gut belegt: "Die meisten, die kommen, wollen möglichst schnell arbeiten - auch um Geld an ihre Familien zurückzuschicken." Neben der Jobperspektive sei für Flüchtlinge entscheidend, dass sie in dem Land, in das sie flüchten, ein "Netzwerk" an Landsleuten vorfänden. Sozialleistungen oder gar die Aussicht, mit diesen die Zurückgelassenen zu unterstützen, spielten im Endeffekt keine Rolle.

Auch Walid will so schnell wie möglich Arbeit finden. Er ist seit vergangenem Herbst in Deutschland. Er hat sich schon beim Arbeitsamt gemeldet. Doch er muss erst Deutsch lernen, vorher geht nichts.

Migrationsexperte Liebig sagt, "die ganz große Herausforderung" für viele Länder sei, dass die Flüchtlinge sich nicht sofort in Hilfsjobs stürzen, sondern mittel- und längerfristig in besser bezahlte Arbeit kommen. Maria Brand von der Aktionsgruppe Asyl hat das in der vergangenen Woche erlebt. Teilnehmer von Deutschkursen brechen diese ab, weil sie seit der Einführung des Kommunal Passes kein Bargeld mehr haben.

Liebig sieht Walids Beispiel letztlich sogar als Argument, das auch Landrat Bayerstorfer gefallen müsste: Wenn Walids Familie dank seiner Unterstützung in Syrien bleiben kann, sei das nicht nur "humanitär sinnvoll", sondern "auch etwas, das durchaus politisch erwünscht ist".

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