Süddeutsche Zeitung

Langenpreising:Vermintes Gelände

Eine Delegation aus der Ukraine sammelt Erkenntnisse zum Wiederaufbau des durch den Krieg teilweise zerstören Ostteil des Landes. Eine Garage in Langenpreising ist der Ort, an dem das von der Bundesregierung mit einer Million Euro finanzierte Projekt beginnt

Von Sebastian Fischer, Langenpreising

Was Oleg Bondar gerade über die Separatisten sagt, möchte der Mitarbeiter von der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) lieber nicht übersetzen. Doch Bondars Zuhörer in der Garage in Langenpreising verstehen, dass es nichts Gutes ist, auch wenn sie des Ukrainischen nicht mächtig sind. Denn er zeigt, während er spricht, auf ein Bild von einem Spielauto, unter das ein tödlicher Sprengsatz montiert ist, seine Augen sind zusammengekniffen. Bondar ist Oberst des staatlichen Notfalldienstes der Ukraine. Alexander Savelyev heißt der OSZE-Mitarbeiter, er leitet ein Projekt, das die ukrainische Regierung darin unterstützt, die vom Krieg gezeichneten Territorien im Osten des Landes von Bomben und Landminen zu befreien. Und die Garage in Langenpreising ist der Ort, an dem das von der Bundesregierung mit einer Million Euro finanzierte Projekt beginnt.

Nein, über Politik hätten sie nicht gesprochen, sagt Eveline Zwehn. Ihr gehört die Garage, in der Bondar und fünf seiner Kollegen aus Kiew am Montag an einem Holztisch saßen, zwischen einem Bagger, einem Kran und Sondiergeräten. Zwehn ist Geschäftsführerin der EMC Kampfmittelbeseitigungs GmbH, ihre 20 Mitarbeiter sondieren und räumen täglich Bauflächen in Süddeutschland. Die Firma gibt es seit 2002, 2011 zog die Hauptgeschäftsstelle nach Langenpreising. Die EMC ist durchaus renommiert auf ihrem Gebiet, doch ukrainische Kollegen hat Zwehn dort noch nie empfangen. Deshalb war es etwas Besonders, als am Montagmorgen um 9 Uhr der Bus vor der Tür stand. Bondar und seine Kollegen, allesamt leitende Beamte des staatlichen Notfalldienstes, fotografierten sich zunächst im Hinterhof mit ausgestellten Fliegerbomben und Panzerüberresten, die Zwehn stolz präsentierte. Später schrieben sie eifrig mit, als Frank Masche, langjähriger Minenräumer und von der OSZE mit der Organisation der Reise betraut, und EMC-Feuerwerker Peter Waffler dozierten.

Das Projekt ist eines mit großer Tragweite: Es geht um Sicherheit und Wiederaufbau in der vom Konflikt mit prorussischen Separatisten teilweise zerstören Ostukraine. Im Donbass sind nach fast zwei Wochen Waffenruhe am Montag wieder zwei Soldaten getötet worden. Doch es kehren Menschen in die Krisengebiete um Donezk und Luhansk zurück, und es gelte, Brücken und Häuser wieder aufzubauen, sagt OSZE-Mitarbeiter Savelyev. Möglichst schnell müsse geprüft werden, wo sich Minen verbergen könnten. Bereits 2014 hat die Ukraine dafür bei der OSZE um Hilfe gebeten. Der Notfalldienst habe selbst Opfer zu beklagen, zudem erfülle die Technik zum Teil notwendige Voraussetzungen nicht. Mit dem Geld der Bundesregierung werden vier Teams mit Schutzkleidung und Detektoren ausgerüstet und motorisiert, ihnen wird Wissen über Arbeitsabläufe und Ausbildung in Deutschland vermittelt - Wissen, das auch aus Langenpreising kommt. "Wir wollen von der deutschen Erfahrung profitieren", sagt Bondar.

Die Diskussion in der Garage am Montag wird schnell fachlich. Die Ukrainer interessieren sich vor allem für das deutsche System, in dem private Firmen unter staatlichen Auflagen nach Minen suchen, anders als in der Ukraine, wo der Staat allein zuständig ist. Später demonstrierten Waffler und Masche noch ein paar moderne Sonden, deutsche Fabrikate.

"In Bayern kann man, was das angeht, eine Menge lernen", sagt Masche, der sich zunächst ein Bild von der Situation in der Ostukraine gemacht hat und sich danach an seinen langjährigen Bekannten Waffler wandte. Denn Masche wusste, dass die Langenpreisinger auf die Weiterbildung von Minenräumern bedacht sind: Seit langem plant EMC den Bau eines zweistöckigen Schulungszentrums auf der Wiese hinter der Geschäftsstelle. Auf der 1000 Quadratmeter großen Fläche sollen zudem entschärfte Minen vergraben werden, um Sondierer nicht nur theoretisch weiterbilden zu können. Sie habe viele Anfragen aus aller Welt, der Bedarf sei da, sagt Zwehn: Das zeige ja nun auch der Besuch der Ukrainer.

Die sind am Mittwoch beim Roten Kreuz und der Feuerwehr in Erding, später treffen sie CSU-Landrat Martin Bayerstorfer, am Samstag geht ihr Flugzeug zurück nach Kiew. Am Dienstag begleiteten Masche und Waffler Bondar und Kollegen nach Heilbronn, dort ist EMC für die Suche nach Kampfmitteln auf der Baustelle für die Bundesgartenschau zuständig. Technik, wie sie dort verwendet wird, sei in der Ukraine zu selten, sagt Bondar. Trotzdem hat seine Behörde in den Konfliktgebieten seit 2014 circa 82 Quadratkilometer Fläche gesichert. Die Teams arbeiten 20 Kilometer hinter der Kontaktlinie, sagt Savelyev. Auch abseits der Konfliktgebiete tauchen immer wieder Minen auf: Überbleibsel der Militärübungen in der Sowjetunion.

Ob die Arbeit der Langenpreisinger nun tatsächlich mit der in der Ukraine vergleichbar ist, ob Oleg Bondar und seine Kollegen sich etwas abschauen werden, das will Peter Waffler gar nicht beurteilen. "Sie müssen selber entscheiden, ob sie hier etwas Sinnvolles mitnehmen. Mir geht es um den Erfahrungsaustausch", sagt er. Wie dankbar sie für die Einladung sind, wie gut es ihnen gefällt, das würden ihnen die Ukrainer immer wieder sagen, sagt Eveline Zwehn. Am Montagabend zum Beispiel, besuchten alle gemeinsam ein Brauhaus in Wartenberg, der Trachtenverein trat auf. Da sei es etwas lockerer zugegangen, sagt sie. Und Bondar habe ihr erklärt, dass er sich solche Abende auch zu Hause wieder wünsche. Denn Traditionen zu pflegen, daran habe in den letzten Monaten in der Ukraine niemand gedacht.

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SZ vom 16.09.2015
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