Landshut:Komplizierte Verhältnisse

Der Stiefsohn berichtet vor Gericht von einem verschwundenen Ordner, den seine Mutter für ihren Todesfall angelegt habe. Michael B. "ist der einzige Mensch, der daran ein Interesse haben konnte", sagte der 28-Jährige

Von Florian Tempel, Landshut

Der Stief- und Adoptivsohn des wegen Totschlags an seiner zweiten Ehefrau angeklagten Erdinger Frauenarztes ist fest davon überzeugt, dass Michael B., 55, seine Mutter umgebracht hat. Der 28-Jährige, der am Montag als Zeuge aussagte, machte "seine Meinung" unter anderem an ausweichenden Antworten seines Stiefvaters fest. Er habe bei Besuchen in der Untersuchungshaft nie zu ihm gesagt, dass er nicht der Täter sei. Er habe von ihm nur zu hören bekommen, dass er nicht der Täter sein könne, weil er in seiner Praxis gewesen sei, als am 4. Dezember 2013 die damals 60-jährige Brigitte B. in ihrem Reihenhaus in Pretzen getötet wurde.

Zudem sagte der Stiefsohn, dass das Verhältnis zwischen seinem Stiefvater und seiner Mutter keineswegs ungetrübt gewesen sei. Der Angeklagte hatte dem Gericht zum Prozessauftakt versichert, die Ehe sei bis zuletzt vollkommen harmonisch gewesen. "Uns wurde eine Häschenidylle vorgestellt", fasste die Vorsitzende Richterin Gisela Geppert die Darstellung des Angeklagten noch einmal zusammen. Der Stiefsohn wusste hingegen zu berichten, dass in den Wochen vor dem Tod seiner Mutter ihr "Vertrauensverhältnis gestört" und "angespannt" gewesen sei. Als Grund nannte er das komplizierte Verhältnis des Angeklagten zu dessen vier Kindern aus erste Ehe.

Michael B. habe "immer wieder versprochen", dass er keinen Kontakt mit seinen vier leiblichen Kindern haben wollte. Vor allem seiner Mutter sei das wichtig gewesen, so der Stiefsohn. Denn die "alte Familie" des Angeklagten habe sich seit vielen Jahren "wie ein Schleier" über die zweite Ehe gedeckt. Die erste Frau des Angeklagten habe dafür gesorgt, dass er seine Anstellungen als Chefarzt an katholischen Kliniken in Osnabrück und Bremen verloren habe. Und auch von den leiblichen Kindern sei "ein Aggressionspotenzial" ausgegangen. Seine Mutter habe darunter sehr gelitten und geglaubt, eine völlige Trennung von der alten Familie sei das Beste für alle. Sie habe sogar Briefe von den leiblichen Kindern "verschwinden lassen".

Tatsächlich hatte Michael B. lange keinen Kontakt mit seinen leiblichen Kindern. Einen Monat vor dem Tod seiner zweiten Ehefrau war es jedoch unvermeidlich. Die Mutter des Angeklagten war gestorben. Michael B. verbot daraufhin seinem Sohn und seinen drei Töchtern an der Beerdigung teilzunehmen, was er nur im Streit mit diesen durchsetzen konnte.

Der Stiefsohn wusste einen weiteren Punkt, der in jenen Wochen zu Verstimmungen geführt habe. Er wisse, dass Michael B. von dessen Mutter "de facto enterbt" worden sei, was dieser aber nicht einsehen wollte. Der Stiefsohn bestätigte zudem, dass Michael B. seiner zweiten Ehefrau im Laufe der Jahre etwa 900 000 Euro geschenkt habe. Aus folgendem Grund: Damit die leiblichen Kinder von Michael B. nichts bekämen, falls er sterben sollte - "das war die Idee dahinter", sagte der Stiefsohn. So hätte es ihm seine Mutter und der Angeklagte selbst erklärt. Der Stiefsohn und seine 22 Jahre alte Schwester waren, auch das wurde nun bekannt, von ihrer Mutter als Alleinerben eingesetzt.

Kurz vor ihrem Tod sei seine Mutter auf jeden Fall "nicht mehr so glücklich" gewesen. Zudem habe sie unter Heimweh gelitten und wäre am liebsten nach Niedersachsen zurückgekehrt, wo sie "ein schönes großes Haus" aus erste Ehe hatte.

Der Stiefsohn sagte weiter, dass seine Mutter einen Ordner geführt habe, in dem sie Dokumenten und Unterlagen sammelte, die für ihn und seiner Schwester "im Falle ihres Ablebens" bestimmt gewesen wären. Wenige Wochen vor ihrem Tod habe sie ihre Kinder in einer Whatsapp-Nachricht darauf hingewiesen. Ein solcher Ordner wurde nach ihrem Tod aber nicht gefunden. Für ihn, so der Stiefsohn, gebe es nur eine Erklärung. Der Angeklagte habe ihn verschwinden lassen, er sei "der einzige Mensch, der daran ein Interesse haben konnte".

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