Landshut/Freising:Mangelhafte Indizienkette

Lesezeit: 2 min

Freispruch in Prozess um Internet-Abzocke

Beim Prozessauftakt im Juli sprach der Vorsitzende Richter Ralph Reiter noch von einer "Indizienkette, die sehr schlüssig erscheint". Nach vier Verhandlungstagen gelangte die sechste Strafkammer des Landshuter Landgerichts dann jedoch zu der Erkenntnis, "dass die Beweislage letztlich nicht ausreicht", um den Angeklagten, der laut Staatsanwaltschaft unter anderem eine Freisingerin um einen hohen Geldbetrag betrogen haben soll, zu verurteilen. Das Gericht sprach den 24-Jährigen am Dienstag frei. Für das eine Jahr, das er bereits in Untersuchungshaft saß, wird er entschädigt.

Dem gebürtigen Nigerianer, der zuletzt in München bei Mutter und Stiefvater lebte, war vorgeworfen worden, als Teil einer international agierenden Bande, auch "Nigeria-Connection" genannt, mit Fakeprofilen auf Partnerbörsen im Internet mehrere Frauen kontaktiert und um insgesamt 140 000 Euro betrogen zu haben. Den Großteil des Schadens hat eine 53-jährige Freisingerin zu beklagen, die 130 000 Euro verloren hat. Sie hatte auf der Internetplattform neu.de einen gewissen "Bill Turner" kennengelernt, war ihm aber nie persönlich begegnet. Dennoch baute sie per Chat und per Telefon eine intensive Beziehung zu ihm auf. Als die Internetbekanntschaft eine finanzielle Notlage vortäuschte, überwies sie in mehreren Raten 130 000 Euro. Das Geld lieh sie sich unter einem Vorwand bei Verwandten und Bekannten.

Über die Sim-Karte und die Geräteidentifikationsnummer (Imei) seines Handys kamen die Ermittler auf den Angeklagten. Der beteuerte stets, mit der Sache nichts zu tun zu haben. Am Ende konnte ihm keine Beteiligung an den Taten nachgewiesen werden. Das Handy des Angeklagten war zehn Jahre alt, "damit kann man gar nicht chatten", sagte der Verteidiger. Und die Telefonnummer sowie die Imei könne man "problemlos auf ein anderes Gerät transferieren". Das habe ein Experte des Landeskriminalamts bestätigt, sagte ein Polizist aus. "Von der Beute ist auch kein einziger Euro beim Angeklagten aufgetaucht", so der Verteidiger.

Im Fall der Freisingerin waren sich Verteidiger, Gericht und auch die Staatsanwältin einig, dass der Angeklagte nicht der Täter gewesen sein kann. So führte die 53-Jährige, nachdem sie zur Polizei gegangen war, die Chats und Telefonate zur Unterstützung der Ermittlungen fort - auch als der Angeklagte bereits in Untersuchungshaft saß. Sie zeichnete sogar ein Gespräch auf. Alle Prozessbeteiligten waren sich einig, dass die Stimme auf der Aufnahme nicht die des Angeklagten war. Auch die Chatnachrichten nach der Verhaftung des Angeklagten "haben sich nahtlos fortgesetzt und inhaltlich an die vorherigen angeknüpft", sagte der Vorsitzende Richter. Das zeige, dass die Kommunikation des "Bill Turner" durchgängig von derselben Person geführt worden sei. "Der Angeklagte kommt hier als Täter nicht in Betracht."

Auch im Fall einer Frau aus Wadgassen, die um 10 000 Euro betrogen worden ist, reichten die Beweise nicht aus. Der Angeklagte hat nie bestritten, dass das in seiner Wohnung sichergestellte Handy ihm gehöre. Aber dieses scheide aus technischen Gründen als tatrelevantes Gerät aus, so der Richter: "In der Wohnung wurde überhaupt kein chatfähiges Endgerät gefunden." In der Wohnung hätten mehrere Personen gelebt, es seien ständig Leute ein- und ausgegangen. Sim-Karte und Imei-Nummer seien womöglich auf ein anderes Gerät übertragen worden. "Das ist das Perfide an dieser Betrugsmasche, dass von einem Tag auf den anderen jemand am anderen Ende der Welt mit derselben Handynummer chatten kann", sagte der Richter. Das Gericht folgte nicht dem Antrag der Staatsanwältin, die den Angeklagten im Fall der Frau aus Wadgassen als schuldig ansah und dafür zwei Jahre und acht Monate Gefängnis forderte.

Der Richter wollte nicht ausschließen, "dass Freunde oder der Stiefvater des Angeklagten zu der Bande gehören". Als das aufgezeichnete Gespräch im Gerichtssaal abgespielt wurde, bekam die Mutter des Angeklagten im Zuhörerbereich einen Weinkrampf. Der Richter fragte: "Ist das die Stimme des Stiefvaters?" Die Frau verneinte. Der Richter wollte dennoch für den Stiefvater nicht die "Hand ins Feuer legen, aber darum geht es in dieser Verhandlung nicht".

© SZ vom 06.09.2018 / axka - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: