Landshut/Eittingermoos:Messerattacke ohne Vorwarnung

Nach einer Prügelei auf offener Straße soll einige Stunden später ein Asylbewerber im Flüchtlingsheim auf einen anderen eingestochen haben. Trotz einer ziemlich eindeutigen Beweislage bestreitet der Angeklagte die Tat

Von Florian Tempel, Landshut/Eittingermoos

Erst vor drei Wochen hat ein Flüchtling in einer Unterkunft in Dorfen einen anderen getötet. Ein 35-jähriger Mann aus Somalia erstach nachts einen 20 Jahre jungen Senegalesen mit einem Messer. Am Dienstag wurde ein ähnliches Verbrechen am Landgericht Landshut verhandelt - mit dem gewichtigen Unterschied, dass das Opfer in diesem Fall die Messerattacke mit lediglich leichten Verletzungen überstanden hatte: Am 4. Juni 2015 war in der Asylunterkunft in Eittingermoos ein 23 Jahre alter Flüchtling aus Somalia in das Zimmer eines 26 Jahre alten Landsmanns gestürmt und hatte ohne Vorwarnung mit einem Küchenmesser auf ihn eingestochen. Die Staatsanwaltschaft Landshut hatte diesen Angriff als versuchten Mord angeklagt. Ein Urteil war bis zum Redaktionsschluss dieser Ausgabe noch nicht gesprochen.

Obwohl die Beweislage aufgrund von Zeugenaussagen, Tatortspuren und eines rechtsmedizinischen Gutachtens deutlich gegen ihn sprach, beteuerte der Angeklagte, er sei absolut unschuldig: Nicht er sei mit dem Messer auf seinen Landsmann losgegangen, sondern dieser auf ihn. Er werde vom angeblichen Opfer und anderen Bewohnern der Flüchtlingsunterkunft zu Unrecht beschuldigt, weil man sich gemeinsam wegen vorausgegangener Konflikte an ihm rächen wolle.

Der Angeklagte war im März vergangenen Jahres in Eittingermoos einquartiert worden. Dort leben in zwei Wohnhäusern etwa 30 Männer aus verschiedenen Ländern. Der Angeklagte hatte nach seinem Einzug immer wieder Konflikte mit seinen Mitbewohnern. Ein Zeuge sagte vor Gericht: "Es gibt keinen in dem Wohnheim, mit dem er keinen Streit hatte."

Am 4. Juni hatte der Angeklagte am frühen Abend zunächst eine handfeste Auseinandersetzung mit dem späteren Opfer der Messerattacke. Die beiden Männer prügelten sich auf offener Straße, auf halben Weg zwischen der Unterkunft und dem Badeweiher Stoibermühle, nachdem sie wegen eines abhanden gekommenen Schlüssels in Streit geraten waren. Der Angeklagte zog dabei den Kürzeren: Er blieb verprügelt auf der Straße liegen, während der andere, nicht ganz so lädiert, zurück in die Unterkunft ging. Ein Autofahrer fand ihn einige Zeit später, rief den Rettungsdienst und die Polizei. Der Angeklagte wurde ins Krankenhaus nach Freising gebracht, eine Polizeistreife vernahm in der Unterkunft den anderen Mann.

Etwa dreieinhalb Stunden später kam der Angeklagte zurück ins Flüchtlingswohnheim. Seine feste Erwartung, die Polizei hätte seinen Kontrahenten festgenommen, war nicht erfüllt. Nachdem er etwa eine Stunde vor der Unterkunft alleine im Freien gesessen hatte, ging er kurz nach Mitternacht ins Haus und nahm sich offenbar im Erdgeschoss in der Küche ein Messer mit. Dann stürmte er im Obergeschoss ins Zimmer des anderen Mannes, der in seine Bettdecke gehüllt auf seinem Bett saß und mit seinem Handy beschäftigt war. Der Angeklagte stach, laut Angaben des Opfers und dessen Zimmergenossen, wortlos mit dem Messer auf ihn ein. Der Angegriffene konnte den Stich so abblocken, dass ihn die Messerspitze nur leicht an der Stirn traf. Dann sprang er auf und schützte sich vor weiteren Stichversuchen mit seiner Bettdecke. Sein Zimmergenosse versuchte, den Angreifer mit Zureden zu beruhigen. Doch erst ein dritter Mann schaffte es, ihn aus dem Zimmer zu bewegen. Im Gehen warf der Angeklagte das Messer weg. Er beruhigte sich laut Zeugenaussagen aber nicht wirklich, nahm sich in der Küche ein zweites, größeres Messer und bewarf sein Opfer, das sich nun seinerseits mit dem ersten Messer und einer Stahlkette bewaffnet hatte, mit einer Bratpfanne und einer Porzellantasse. Mitbewohner hielten die beiden auseinander, bis die Polizei kam.

Laut der Darstellung des Angeklagten war alles ganz anders: Das angebliche Opfer habe ihn nach der Prügelei auf der Straße sein Handy gestohlen. Er habe ihn nachts, als er zurück aus dem Krankenhaus war, "ganz ruhig" um die Herausgabe gebeten, worauf er von jenem urplötzlich mit dem Messer attackiert worden sei. Die Verletzung des Opfers an der Stirn erklärte er mit einem Treffer durch die Tasse, die er nach ihm geworfen hatte.

Das passte jedoch nicht so recht mit objektiven Belegen zusammen, die gegen den Angeklagten sprachen: Laut einem rechtsmedizinischen Gutachten war die Verletzung an der Stirn des Opfers eindeutig eine Stichwunde. Die Spurensicherung der Kripo hatte zudem Blutflecken im Zimmer des Opfers festgestellt, das der Angeklagte gar nicht betreten haben wollte, sowie einen Einstich in der Bettdecke, die der Mann schützend vor sich gehalten hatte.

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