Erdinger Landrat fordert:Rückzug aus der Fläche beim ÖPNV aus Kostengründen

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Ein 14-jähriger Schüler ist am Samstagabend in Moosinning von einem Auto erfasst und schwer verletzt worden, als er aus einem Bus ausgestiegen ist (Symbolbild). (Foto: Stephan Goerlich)

Immer mehr Menschen zieht es in den Landkreis Erding. Das hat allerdings keine Auswirkungen auf die Fahrgastzahlen in den Bussen. Landrat Bayerstorfer kann sich darum vorstellen, nur noch "starke Linien" zu fördern. Bürgermeister-Kreisobmann Wiesmair warnt vor einem "falschen Signal".

Von Gerhard Wilhelm, Erding

Das Thema stand zwar im jüngsten Ausschuss des Kreistag für Umwelt und Verkehr nur indirekt auf der Tagesordnung. Was Landrat Martin Bayerstorfer (CSU) aber sagte, hat große Auswirkungen: Man müsse überlegen, ob der Landkreis sich nicht langfristig beim Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV), vor allem beim Busverkehr, aus der Fläche verabschieden sollte. Nur noch Strecken mit hohen Fahrgastzahlen sollen gefördert werden und ansonsten solle es nur noch eine "Grundversorgung" geben, so Bayerstorfer. Der Grund dafür: Man habe die Strecken ausgebaut, die Einwohnerzahlen seien gestiegen, aber die Fahrgastzahlen hätten nicht davon profitiert: "Ein ernüchternder Effekt."

Auf der Tagesordnung der Ausschussmitglieder stand eigentlich ein anderes Thema: der Beitritt des Landkreises zur Arbeitsgemeinschaft fahrradfreundlicher Kommunen (AGFK). Im Herbst 2021 stand der Antrag bereits einmal zur Debatte - und eine Entscheidung wurde verschoben. Erst sollten sich die 26 Bürgermeister im Landkreis dazu äußern. Zwei Kommunen sind schon dem AGFK beigetreten: die Stadt Erding und Dorfen. Das Ergebnis einer Bürgermeisterdienstbesprechung im Dezember sei eindeutig ausgefallen, sagte Katrin Neueder, die Leiterin des Fachbereichs Kreisentwicklung im Landratsamt.

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Radverkehrskonzept für den Landkreis

Man sei mehrheitlich gegen einen Beitritt. Gründe dafür waren unter anderem die möglichen Folgekosten für die einzelnen Städte, Märkte und Gemeinden. Zudem werde für den Landkreis ein Radverkehrskonzept erarbeitet, das noch in diesem Jahr vorgestellt werden soll. Dafür habe man 150 000 Euro in den Haushalt eingestellt, sagte Neueder.

Nicht einverstanden war damit Wolfgang Fritz, Kreisrat der Grünen. Er plädierte zunächst dafür, dem Beitritt doch zuzustimmen. Der Autoverkehr im Landkreis steige überproportional zu den Einwohnerzahlen. Um dem drohenden Verkehrskollaps entgegen zu wirken, müsse man - koordiniert durch den Landkreis - neue Radwegstrukturen schaffen. Das Radwegekonzept sei gut, aber es müsse auch in der Praxis umgesetzt werden, sonst sei Erding in vier Jahren, wenn die Förderungen auslaufen würden, das Schlusslicht und ein "weißer Fleck" in Bayern, was Radwege betreffe. Hohe Folgekosten sieht Fritz nicht. Der Nutzen, den man aus der Zusammenarbeit ziehe, sei höher.

Aus der Fläche verabschieden

Beim Thema Kosten hakte Landrat Bayerstorfer dann ein. Er habe bei seiner Verwaltung eine Kostenaufstellung in Auftrag gegeben, wie viel der ÖPNV den Landkreis eigentlich koste. Als er die Zahl bekommen habe, sei er "erschrocken": 3,05 Euro je Kilometer und Fahrgast. Und das, obwohl man die Verbindungen immer weiter ausgebaut und für den ÖPNV immer geworben habe. Die Landkreisbevölkerung sei um acht, die Fahrgastzahlen aber nur um vier Prozent gestiegen. Er mache niemanden einen Vorwurf, es sei nur eine "Feststellung". Bayerstorfers Schlussfolgerung: "Wir müssen uns langfristig aus der Fläche verabschieden." Beibehalten werden sollen "starke Linien", so zum Beispiel die Busverbindung von Taufkirchen über Erding zum Flughafen. Er könne sich aber vorstellen, dass das Fahrrad eine Rolle dann als "Zubringer" zu den Haltestellen spielen könne. Unter anderem durch Fahrradverleihsysteme.

Martin Bayerstorfer galt einst als Hardliner in der Asylpolitik. Inzwischen hält er sich mit markigen Worten zurück. (Foto: Stephan Goerlich)

Im Ausschuss löste Bayerstorfer Aussage keinen Widerspruch, aber auch keine Zustimmung aus. Es kam zu gar keiner Wortmeldung. Johann Wiesmaier (CSU), Bürgermeister der Flächengemeinde Fraunberg mit 42 Ortsteilen und Kreisobmann aller Bürgermeister im Landkreis, sieht das allerdings differenzierter: "Sich aus der Fläche zu verabschieden, ist vom Grundsatz her das falsche Signal". Aber man müsse natürlich die "Sinnhaftigkeit" von manchen Buslinien prüfen. Wenn in einem Bus mit 50 Plätzen nur sechs Fahrgäste sitzen, sei dies ökonomisch wie ökologisch Unsinn. Bei einem Flächenlandkreis wie Erding sei dieser Spagat die größte Herausforderung. "Wir Gemeinden kämpfen, dass wir in diesen Diskussionen eingebunden sind."

Wohltaten zu verkünden, ist immer schöner

Man sehe aber die Zwänge des Landkreises, schließlich finanziere man über die Kreisumlage das Defizit mit. "Wohltaten zu verkünden, ist immer schöner. Und die Gemeinden zahlen. Das ist immer das gleiche Spiel." Bayerstorfer sei Realpolitiker. Letztlich stelle sich immer die Frage: wer zahlt? Mit einem Defizit in Höhe von fünf Millionen Euro liege der Landkreis im weiteren Umfeld vorne, so Wiesmair. Der Landkreis gehe bereits mehrere Wege, zum Beispiel mit Rufbussen. Warum überdies, fragt der Kreisobmann, biete der Flughafen keinen Werksverkehr wie BMW an. In vielen Gemeinden sei jeder Zehnte dort beschäftigt.

Der Beschluss zum Beitritt zur AGFK wurde letztlich vertagt. Wenn das Radverkehrskonzept vorliegt, will man noch mal über einen Beitritt diskutieren.

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