Landkreis Erding:"Hausfriedensbruch für Wildtiere"

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Rehe müssen jetzt sparsam mit ihrer Energie umgehen. Von Hunden gehetzt zu werden, kann für sie tödlich enden. (Foto: Michael Matziol)

Angesichts der schönen verschneiten Winterlandschaft nimmt auch der Tagestourismus in den Landkreis zu. Aber die Ausflügler und ihre Hunde schrecken in Wald und Flur auch Rehe auf, was tödlich enden kann

Von Thomas Daller, Erding

Der Tagestourismus der Münchner ins Umland bringt Probleme mit sich. Der Aufschrei im Oberland, nachdem dort alles zugeparkt und überlaufen wurde, hat schon für heftige Diskussionen gesorgt. Aber auch im Landkreis Erding hat der Besucheranstieg seine Tücken. Die Jäger sorgen sich um die Hasen, Fasanen und Rehe. Denn manche lassen ihre Hunde in Feld und Wald frei laufen oder sie gehen selbst abseits der Wege durch Fluren und Unterholz. Viele Wildtiere werden dadurch aufgeschreckt und flüchten. Oftmals werden sie dann beim Überqueren der Straßen totgefahren oder ertrinken in Gewässern.

Der erste richtige Winter seit Jahren lockt viele aus der Stadt aufs Land, um spazieren zu gehen oder mit dem Fahrrad unterwegs zu sein. Dafür haben auch die Jäger vollstes Verständnis, sagt der Vorsitzende des Kreisjagdverbandes, Thomas Schreder: Die Wälder würden im Pulverschnee wie verzaubert wirken, "alles glitzert", die Landschaft wirke wir gemalt und lade zum Spazierengehen geradezu ein. Und obwohl Erding keine klassische Tourismusregion sei, sehe man überall am Waldrand und an den abgeernteten Feldern Autos stehen mit Kennzeichen aus den umliegenden Landkreisen und aus der Landeshauptstadt. "Viele Revierinhaber sagen, so viele Leute hätten sie noch nie bei uns erlebt", sagte Schreder. Das sei an sich noch kein Problem, wenn man sich an die Regeln halte, auf den Wegen bleibe und Hunde angeleint würden.

Und dann gibt es eben jene, die das nicht tun. Die Jäger unterstellen ihnen keine böse Absicht, vielmehr sei das Unwissenheit oder Gedankenlosigkeit, aber auch das habe oftmals fatale Folgen für das Wild. Georg Lupperger aus Lüß ist Landwirt, Jäger, Revierpächter und Hegeringleiter Erding West. Er erlebt das fast jeden Tag. Er hat 28 Hektar Blühflächen angelegt und als Winterbegrünung Senf angebaut, der 1,50 Meter hoch steht. Dort würden sich jetzt viele Rehe, Hasen und Fasane aufhalten. Die Flächen seien auch mit Tafeln als Wildruhezonen ausgeschildert, mit dem Hinweis, dass man Hunde an die Leine nehmen solle. "Wir sind nur 20 Kilometer von München weg", sagt Lupperger, deswegen habe die Naherholung stark zugenommen. An seinen Feldern würden jetzt täglich und teilweise bis in die Nacht hinein etwa 150 Ausflügler entlang laufen. "Wenn da ein Hund ins Grünzeug reinrumpelt", sagt Lupperger, schreckt er das Wild auf. Erst vergangenen Montag sei ein Reh in Lüß auf der Staatsstraße überfahren worden. Er kenne die Tiere gut, sie seien sonst vorsichtig, wenn sie die Straße überqueren. Aber diese Vorsicht falle weg, wenn sie auf der Flucht seien. Und viele Rehgeißen seien jetzt trächtig. Das überfahrene Reh habe drei Kitze im Bauch gehabt, "so groß wie kleine Kätzchen".

"Hunde sind aus Sicht des Wildes Raubtiere", betont Lupperger. Fasanen und Hasen würden oftmals das Revier verlassen und nicht wieder zurückkehren, wenn sie von einem stöbernden Hund aufgeschreckt wurden. "Das ist wie ein Hausfriedensbruch für Wildtiere." Und Rehe würden in panischer Flucht davonlaufen. Nicht nur Straßen versperren dabei die Fluchtwege: Durch sein Revier verläuft auf drei Kilometern Länge der Mittlere Isarkanal. Immer wieder würden dort Rehe hineinfallen und wegen der steilen Böschung nicht mehr herauskommen. Manchmal habe ein Tier Glück und die Feuerwehr könne rechtzeitig ausrücken. Aber viele andere würden als Kadaver im Rechen des Kraftwerks in Aufkirchen landen. "Und da haben wir momentan ein massives Problem", sagte Lupperger. Es gebe seit der Zunahme des Ausflugsverkehrs mehr Wildunfälle und auch mehr ertrunkene Tiere.

Die einheimischen Jogger und Hundehalter wüssten um diese Zusammenhänge und würden sich an die Regeln halten, erklärt der Hegeringleiter. Und er erkläre auch den Ausflüglern aus München, ohne zu schimpfen, warum es so wichtig sei, auf den Wegen zu bleiben und die Hunde an der Leine zu lassen. Aber teilweise würden sogar seine Tafeln mit dem Hinweis auf die Wildruhezonen zerstört. Und erst kürzlich habe eine Frau zu weinen begonnen, und gefragt, wo man denn überhaupt noch einen Hund frei laufen lassen könne. "Es gibt doch auch Leinen mit zehn Metern Länge, habe ich ihr erklärt", sagte Lupperger. Da könne sich der Hund auch relativ frei bewegen. Aber den Hund völlig frei durch Feld und Wald laufen zu lassen, sei unverantwortlich den Wildtieren gegenüber, die jetzt ihre Ruhe bräuchten.

© SZ vom 16.02.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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