Landgericht Landshut:Unfall oder Mordversuch?

Paranoider Autofahrer rammt Kleinwagen mit drei Frauen. Die Polizei wird hellhörig, als er sagt, er wolle tot sein

Von Florian Tempel, Landshut

War es ein Unfall aus Unachtsamkeit oder der Mordversuch eines Wahnsinnigen? Zwischen diesen beiden Möglichkeiten liegen Welten, doch es gab nichts dazwischen. Entweder so oder so. Das Schwurgericht am Landgericht Landshut hatte an diesem Donnerstag keine leichte Aufgabe. Am Ende entschied die Kammer unter Vorsitz von Richter Markus Kring, dass es nur ein Unfall war. Der Vorwurf, der 31-jährige Beschuldigte habe in Tötungsabsicht zielgerichtet gehandelt, basierte auf zu schwachen Annahmen und ließ sich nicht halten. Wegen fahrlässiger Körperverletzung muss der Mann nun eine Geldstrafe von 900 Euro zahlen. Seine Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik wurde aufgehoben, er bekommt seinen Führerschein zurück und Entschädigung für siebeneinhalb Monate in der Psychiatrie.

Am 2. Juli vergangenen Jahres hatte sich in Erding an der Kreuzung Rennweg und Siglfinger Straße ein heftiger, aber auf den ersten Blick nicht völlig ungewöhnlicher Autounfall ereignet. Der 31-Jährige war um kurz nach 20 Uhr von der Siglfinger Straße kommend mit seinem Auto ungebremst am Stoppschild vorbei in die linke Seite eines vorbeifahrenden und vorfahrtsberechtigten Kleinwagens gefahren. Durch die Wucht der Kollision drehte sich der Kleinwagen um 180 Grad und wurde 22 Meter über die Fahrbahn geschleudert, bis er halb auf der Straße, halb auf dem Gehweg zum Stehen kam. Die Fahrerin des Autos, eine 19-jährige Freisingerin, und ihre beiden 18 und 19 Jahre alten Mitfahrerinnen aus Erding wurden leicht bis mittelschwer verletzt. Der Unfallverursacher blieb unverletzt.

In der Antragsschrift der Staatsanwaltschaft hieß es, der Unfallfahrer sei "unter bewusster Missachtung der Vorfahrt" und "zielgerichtet" gegen das Auto mit den drei jungen Frauen gefahren. Und weiter: "Der Beschuldigte benutzte sein Fahrzeug in der verkehrswidrigen Absicht, einen Verkehrsunfall großen Ausmaßes zu verursachen und sich hierdurch selbst das Leben zu nehmen. Dabei nahm er zumindest billigend in Kauf, den Geschädigten in Folge des seitlichen Aufpralls erhebliche und sogar tödliche Verletzungen zuzufügen." Das sei als "versuchter Mord in drei tateinheitlichen Fällen" zu werten. Da der Mann an einer paranoiden Schizophrenie leide, habe er zwar im Zustand der Schuldunfähigkeit gehandelt. Gleichwohl sei er aber "für die Allgemeinheit gefährlich" und müsse in einer geschlossenen psychiatrischen Klinik untergebracht werden.

Dort befand sich der 31-Jährige seit bald acht Monaten. Die Behandlung mit Medikamenten sei sehr gut, sagte er selbst vor Gericht. Er habe nun nicht mehr die Wahnvorstellung, rund um die Uhr von der Polizei observiert und verfolgt zu werden. Und er glaube auch nicht mehr, dass man ihm einen Mikrochip ins Gehirn eingepflanzt habe. Insofern hat sich sein Aufenthalt in der Psychiatrie gelohnt.

Die Annahme, der Mann habe in Suizidabsicht einen mörderischen Unfall begehen wollen, war wesentlich durch seine Aussagen gegenüber der Polizei am Unfallort zustanden gekommen. Ein Zeuge, der als erster am Unfallort gewesen war, hatte ihn noch als leicht verwirrt und etwas geschockt, aber sonst ruhig und gefasst geschildert. Als die Polizei eintraf, wurde der Unfallverursacher jedoch immer aggressiver. Kein Wunder, muss man sagen, wenn man rückblickend seine krankhafte Paranoia vor der Polizei berücksichtigt. Im Gespräch mit den Beamten sagte er Sätze wie, "der Tod ist besser als das Leben" und "ich will tot sein". Seine Aussage "die Polizei will, dass ich ein Terrorist bin", macht wohl die Mischung aus Wut und Verfolgungswahn besonders deutlich. Der Angeklagte machte ja in seiner Paranoia die Polizei für alles Mögliche verantwortlich - und nun standen sie vor ihm und befragten ihn intensiv und fordernd. Es war gewissermaßen Teil seines Wahns, dass die Polizei den Unfall schließlich als Selbstmordattentat werten würde.

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