Landgericht Landshut:Falsche Freunde

Überfallener Kassierer hatte die ihm bekannten Täter zunächst gedeckt, seine Aussage drei Tage später aber revidiert

Von Florian Tempel, Erding

Die beiden 23-jährigen Männern, die Ende März 2018 bei einem vorher angekündigten Überfall auf einen Getränkemarkt in Erding etwa 1000 Euro erbeutet haben, sind in ihrem Prozess am Landgericht Landshut mit relativ milden Strafen davon gekommen. Die Urteile wurden vom Gericht mit vier Jahren sowie drei Jahren und acht Monaten so bemessen, dass beide Männer schon bald im sogenannten Maßregelvollzug eine Drogentherapie beginnen können. Der Vorsitzende Richter Ralph Reiter hatte bereits während der Verhandlung klar gemacht, dass das Verfahren vor allem einen Zweck haben müsse: Den drogensüchtigen Angeklagten eine "Trendwende" in ihrem verkorksten Leben zu ermöglichen. Die Urteile gäben ihnen nun zumindest die Chance dazu.

Zwei Psychiaterinnen hatten beiden Angeklagten eine ausgeprägte Suchtmittelabhängigkeit attestiert. Sie hatten nach eigenen Angaben seit früher Jugend nicht nur massiv viel Alkohol, sondern auch Drogen aller Art - "alles, was es auf dem Markt gibt" - konsumiert. Dass sie vor ihrem Überfall gemeinsam eine Flasche Rum geleert und Kokain geschnupft hatten, wurde hingegen nicht als besonderer oder gar mildernder Umstand gewertet. Die beiden Angeklagten seien ja derartige Menge an Rauschmitteln gewöhnt gewesen. Dafür wurden jedoch die problematischen und traurigen Familiengeschichten der Angeklagten, die von Klein auf mit Alkoholismus, Drogenabhängigkeit und psychischen Problemen in ihrem nächsten Umfeld konfrontiert waren, vom Gericht zu ihren Gunsten berücksichtigt.

Nachdem die zwei jungen Männer am ersten Verhandlungstag ihren Überfall gestanden hatten, erwartete man am zweiten Prozesstag mit Spannung, was der Kassierer des Getränkemarkts zu der Sache zu berichten hätte. Er war mit beiden Angeklagten gut bekannt und gerade deshalb von diesen gezielt ausgesucht worden. Eine halbe Stunde vor der eigentliche Tat hatten sie ihn in dem Getränkemarkt aufgesucht und ihm angekündigt, dass sie kurz vor Ladenschluss zu einem Überfall vorbeikommen würden.

Der Kassierer erschien jedoch nicht als Zeuge vor Gericht. Er teilte mit, dass er erkrankt sei und zum Arzt müsse. Der Vorsitzende Richter hatte durchaus Verständnis, dass der Kassierer "vielleicht Schiss hat", zum Prozess zu kommen. Die beiden Angeklagten hatten ihm zwar durch die Ankündigung die traumatisierende Erfahrung eines bedrohlichen Überfalls erspart - "andererseits haben Sie ihn auch ganz schön in die Bredouille gebracht".

Der Kassierer hatte nach dem Überfall der Polizei zunächst nicht offenbart, dass er die beiden Täter kannte. Für den Überfall hatten sich die Angeklagten maskiert und waren auf den Aufzeichnungen einer Überwachungskamera nicht zu erkennen. Drei Tage später revidierte der Getränkemarktkassierer dann jedoch von sich aus seine Falschaussage. Laut dem Protokoll seiner zweiten Aussage habe er den einen Täter nicht nennen wollen, weil "der doch eigentlich ein Freund von mir war". Vor dem anderen Angeklagten habe er außerdem "eine Scheißangst gehabt, weil ich dem alles zutraue."

Der Vorsitzende Richter erklärte schließlich, dass der Kassierer wegen seiner zunächst falschen Angaben das Recht habe, eine Zeugenaussage komplett zu verweigern. Es sei somit auch egal, ob er krank sei oder nicht, er müsse nichts sagen.

Daraus ergab sich in dem eh schon sehr speziellen Fall eine weitere Wendung. Ohne eine verwertbare Aussage des Kassierers war den Angeklagten kein Raubüberfall im rechtlichen Sinn nachzuweisen. Durch die Ankündigung hatte der Kassierer keinen wirklichen Grund, sich ernsthaft zu ängstigen. Aus juristischer Sicht wurde der Fall schließlich von allen Prozessbeteiligten nicht als Raub, sondern als Diebstahl mit einer Waffe - einer der Täter hatte eine Schlagstock dabei - gewertet.

In der Urteilsbegründung sagte der Vorsitzender Richter allerdings ausdrücklich, "wir gehen nicht davon aus, dass das ein Fake-Überfall war". Es gebe keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Kassierer sich dazu bereit erklärt habe, von sich aus mitzumachen. Durch die Vorabankündigung seiner falschen Freunde sei der "äußerlich klassische Raubüberfall" aber zu einem atypischen Fall geworden.

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