Süddeutsche Zeitung

Prozess gegen Frauenarzt aus Erding:Alles auf Anfang

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Am Mittwoch beginnt der zweite Prozess gegen den früheren Erdinger Frauenarzt Michael B. Die Anklage ist dieselbe wie im November 2014 und der Ausgang des Verfahrens ebenso ungewiss wie damals

Von Florian Tempel, Erding

Es wird ein Déjà-vu. Am diesem Mittwoch um 9 Uhr wird der 57-jährige Michael B. wieder in denselben Gerichtssaal geführt, in dem schon einmal 19 Prozesstage lang gegen ihn verhandelt worden ist. 19 Mal brachte man ihn durch den Hintereingang des Schwurgerichtssaals des Landgerichts Landshut. Erst am Ende, am 19. Januar 2015, durfte Michael B. den Saal durch einen der Vordereingänge verlassen. Nachdem das Gericht ihn vom Vorwurf freigesprochen hatte, am 4. Dezember 2013 seine damals 60 Jahre alte Ehefrau im Streit getötet zu haben. Für die Neuauflage des Prozesses sind 14 Verhandlungstage bis zum 2. Juni angesetzt.

Michael B. kann von der Anklagebank geradeaus auf die Vordereingänge des Gerichtssaal sehen. Ob er auch diesmal am Ende als freier Mann durch eine dieser Türen gehen darf oder als Verurteilter durch den Hintereingang abgeführt wird, muss als völlig offen gelten. Für das mit drei Berufsrichtern und zwei Schöffen besetzte Gericht muss alles auf Anfang stehen - als ob es keine erste Verhandlung, keinen Freispruch, keine Aufhebung des Urteils durch den Bundesgerichtshof (BGH) und keine Flucht des Angeklagten nach Südamerika gegeben hätte.

Die Anklage hat sich nicht verändert. Sie ist exakt dieselbe wie die, die Staatsanwalt Klaus Kurtz vor drei Jahren erhoben und am 6. November 2014 im Landshuter Schwurgerichtssaal verlesen hat. Die Anklage ist immer noch genauso knapp und kurz wie damals. Der so genannte Sachverhalt, der dem Angeklagten zur Last gelegt, wird in drei Sätzen nur dürftig umrissen. Darin heißt es, der Angeklagte habe seine Frau erst massiv verprügelt, dann erwürgt. Michael B. bestreitet das.

Am Abend des 4. Dezember hatte er, kurz nachdem er von der Arbeit in seiner Erdinger Praxis in sein Reihenhaus im Stadtteil Pretzen nach Hause zurückgekommen war, seine Nachbarn um Hilfe gerufen. Seine Ehefrau lag tot im Bad im ersten Stock seines Hauses. Der alarmierte Notarzt und Beamte des Kriminaldauerdienstes der Kripo Erding schätzten die Lage komplett und völlig falsch ein. Sie glaubten, die Frau sei bei einem Sturz ums Leben gekommen. Mögliche Spuren wurden nicht gesichert. Noch schlimmer: Michael B. durfte mit Erlaubnis der Polizei sogar den Tatort säubern. Bei der Obduktion der Leiche, die beinahe nicht einmal vorgenommen worden wäre, zeigte sich dann, dass die Frau Opfer eines Gewaltverbrechens geworden war. Michael B. wurde verhaftet. Die Polizei konnte aber nur noch wenige, zum Teil mikroskopisch kleine Blutspuren sichern.

Als Motiv sieht die Staatsanwaltschaft Differenzen der Eheleute darüber, ob der Angeklagte Kontakte zu seinen vier leiblichen Kindern aus erster Ehe haben durfte, was seine zweite Frau verhindern wollte. Zudem war das Opfer alkoholkrank und am Tattag massiv betrunken, was zu einer Eskalation des Streits beigetragen habe. Die Anklage lautet nicht auf Mord, sondern auf Totschlag.

Im ersten Prozess sah das Gericht eine Verurteilung mangels Beweisen als unmöglich an. Die Indizien ergäben auch "in der Gesamtschau" kein klares Bild. Der BGH bemängelte in der Revision genau das: die Landshuter Richter hätte keine richtige Gesamtwertung aller Indizien vorgenommen, und hob den Freispruch deswegen auf. Michael B. war kurz zuvor nach Südamerika abgereist. Erst nach einem langwierigen Auslieferungsverfahren wurde er im vergangenen Herbst in Chile verhaftet und schließlich nach Deutschland ausgeliefert. Wo nun neue Richter die schwierige Aufgabe haben, ihn und seinen Fall vollkommen unvoreingenommen anzugehen.

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SZ vom 24.04.2017
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