Kreistag Erding:Im eigenen Ermessen

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Landrat Bayerstorfer lässt Anträge der Grünen, die auf Unterstützung und Hilfe von Geflüchteten zielten, im Kreistag nicht einmal diskutieren

Von Florian Tempel, Erding

Im Oktober haben die Grünen im Kreistag zwei Anträge eingebracht, die von Landrat Martin Bayerstorfer (CSU) abgeschmettert worden sind, bevor eine Diskussion darüber überhaupt beginnen konnte. In dem einen Antrag warben die Grünen dafür, dass sich der Landkreis bereit erklärt, "Kinder und besonders schutzbedürftige Geflüchtete aus den griechischen Flüchtlingslagern" aufzunehmen. Im zweiten Antrag ging es darum, sich als Landkreis der "Initiative Seebrücke anzuschließen und sich zum 'sicheren Hafen' für in Seenot geratene Menschen zu erklären". Bayerstorfer will weder das eine noch das andere besprechen - für so etwas sei der Kreistag nicht zuständig.

Die Grünen hatten in den Anträgen durchaus konkreten Bezug zum Landkreis hergestellt. In ihrem Antrag, Kinder und Kranke aus Griechenland aufzunehmen, verwiesen sie auf die "besonderen Kompetenzen des Landkreises als Gesundheitsregion plus und als Bildungsregion", erinnert Florian Geiger, Sprecher der Grünen-Fraktion, in einer Presseerklärung. Ganz konkret hätte geprüft werden sollen, welche Kapazitäten des Klinikum Erding für kranke Geflüchtete habe und was das Jugendamt Erding für minderjährige Flüchtlinge anbieten könnte. Auf diese Weise könnte der Landkreis die Bundesregierung ganz konkret bei der Aufnahme von Kindern und anderen Schutzbedürftigen unterstützen, so die Grünen.

Sonst würde dem staatlichen Landratsamt gewissermaßen ins Handwerk gepfuscht

Bayerstorfer erwiderte, dass das Landratsamt "bei der Aufnahme und Unterbringung von Geflüchteten als Staatsbehörde tätig werde". Der Kreistag könne dem Landratsamt als Staatsbehörde keine Aufträge erteilen. Ebenso wenig könne der Kreistag der Bundesregierung Unterstützung zusichern.

Die Ablehnung, einen Beitritt zur Initiative Seebrücke zu beraten, folgt dem gleichen Schema. Die Grünen hatten geschrieben, dass "wir ein Zeichen setzen und nicht tatenlos zusehen" sollten, wenn zivile Rettungsschiffe Menschen im Mittelmeer vor dem Ertrinken retten, den Rettern und Geretteten danach aber das Leben schwer gemacht werde. Auch Erdinger haben sich schon an der Seenotrettung im Mittelmeer beteiligt, wie Dietmar Enderlein, der drei Wochen lang auf dem Rettungsschiff Alan Kurdi mitarbeitete. Der Kreistag sollte sich nun "für die Entkriminalisierung der zivilen Seenotrettung aussprechen" und sich bereit zeigen, "Menschen, die im Mittelmeer aus Seenot gerettet wurden, aufzunehmen".

Landrats Bayerstorfer argumentiert in seiner Ablehnung, dass man so dem Landratsamt als Staatsbehörde gewissermaßen ins Handwerk pfuschen würde. Laut dem Musterantrag wird eine Kommune oder ein Landkreis zum Sicheren Hafen, indem man unter anderem für Bleibeperspektiven eintritt und "sich im Rahmen seiner Möglichkeiten gegen Abschiebungen" einsetzt. Das wären aber, so Bayerstorfer, wiederum Handlungsanweisungen an den staatlichen Teil des Landratsamts, die dem Kreistag nicht zustünden.

So sieht er das. Anderswo, sieht man es anders. Aktuell gehören der Initiative Seebrücke 227 deutsche Städte, Gemeinden und Landkreise an. Aus Bayern ist zwar kein Landkreis dabei, aber unter anderen mehrere kreisfreie Städte, die ebenso wie die Landkreise staatliche Aufgaben bei der Flüchtlingsunterbringung übernehmen und ein Ausländeramt haben. In München, Nürnberg, Regensburg und Straubing sah man den Beitritt zur Initiative Seebrücke insofern unproblematisch. In den Landkreisen Ebersberg und Rosenheim berieten die Kreistage zuletzt immerhin über die Initiative, bevor sie einen Beitritt ablehnten.

Bei den Grünen hatte man die Ablehnung ihrer Anträgen schon erwartet. Seit Jahren blockiert Landrat Bayerstorfer Diskussionen zum Umgang mit geflüchteten Menschen. So war es zum Beispiel auch, als es um die Flüchtlings-Geldkarte Kommunal Pass ging. Diese war zwar eine originär Erdinger Erfindung und keineswegs eine staatliche Vorgabe. In keinem anderen Landkreis im Freistaat Bayern gab es eine solche Geldkarte, die verhindern sollte, dass Asylbewerber Bargeld besitzen. Ihre Einführung aber lag im Ermessen Bayerstorfers als Chef des staatlichen Teils des Landratsamts.

"Er bewegt sich im Rahmen seiner Möglichkeiten, aber je nachdem, wie es ihm passt."

Helga Stieglmeier, Fraktionssprecherin der Grünen, weiß das: "Sobald er sagt, das betrifft das staatliche Landratsamt, ist es in seinem Ermessen, ob er etwas diskutieren lässt oder nicht." Früher habe sie das nicht glauben und nicht hinnehmen wollen. Nach etlichen Überprüfungen ähnlicher Fälle sei ihr aber klar, dass man nichts dagegen unternehmen könne. "Er bewegt sich im Rahmen seiner Möglichkeiten", sagt Stieglmeier - "aber je nachdem, wie es ihm passt". Das ist auch der Punkt, der Co-Fraktionssprecher Florian Geiger ärgert. Geiger erkennt an, "dass man sich als verantwortungsvoller Kommunalpolitiker klar sein muss, für was man zuständig ist". Doch auch Bayerstorfer habe schon im Kreistag Beschlüsse fassen lassen, die über reine Landkreiszuständigkeiten hinausgehen und verweist auf die Beschlüsse zur geplanten Bundesstraße B 15 neu. Darin werden die Staats- und die Bundesregierung unter anderem aufgefordert, die neue Bundesstraße durch die Nachbarlandkreise zu bauen.

In diesem Fall ist die Bevölkerung des Landkreis Erding freilich direkter betroffen: Möglicher Lärm und Gestank vor der eigenen Haustür abzuwehren, ist etwas anderes, als Geflüchteten, die vor dem Ertrinken aus dem Meer rettet wurden, oder Kindern, die in elenden Flüchtlingslagern hausen müssen, Hilfe anzubieten.

© SZ vom 13.02.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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