Süddeutsche Zeitung

Kreismusikschule Erding:Erfolgreiche Schatzsuche

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Das Archiv wartet mit einer außergewöhnlichen Sammlung auf, unter anderem mit mehr als 10 000 Notenblättern aus mehreren Jahrhunderten. Viele Musikstücke und Instrumente von Volksmusikanten sind durch Zufall auf Speichern entdeckt worden

Von Regina Bluhme, Erding

Über zehntausend Notenblätter lagern im Archiv der Kreismusikschule (KMS) Erding. Akribisch ist das Liedgut von Volksmusikanten aus dem Landkreis inventarisiert - in dieser Fülle ein landesweit wohl einmaliger Schatz. Die Originale, manche noch mit Federkiel und Tinte beschrieben, befinden sich mittlerweile in staatlichen Archiven. Die Kopien sind in Erding geblieben, dazu noch einige Original-Instrumente, darunter ein Streichbass aus dem 18. Jahrhundert. Einzigartig in ganz Bayern dürfte zudem die vollständige Dokumentation des Werdegangs der Kreismusikschule seit ihrer Gründung 1971 sein. Dass das Erdinger Archiv überregionale Bedeutung besitzt, ist zu großen Teilen Mitarbeiterin Wally Lex zu verdanken, die vor kurzem verstorben ist.

Reinhard Loechle, Kreisvolksmusikpfleger und ehemaliger Musikschuldirektor, hat für den Fototermin Fundstücke aus dem Archiv zusammengestellt. Da kommt ganz schön was zusammen. Beim Blättern in einem der 21 Musikbände stößt er mit dem Ellbogen fast an die Tuba hinter ihm auf der Bank. Dort stehen noch weitere Blasinstrumente, auch ein Streichbass. Auf einer Regalreihe über seinem Kopf sind mehrere Harmonikas platziert. Man sieht den Instrumenten das Alter an. Manche haben Kratzer und Dellen. Aber das ist ja das Besondere: Auf ihnen haben Volksmusikgruppen zuweilen vor 200 Jahren aufgespielt, bei Hochzeiten, bei Beerdigungen, bei Tanzfesten. Im Repertoire hatten sie so ziemlich alles, angefangen vom Zwifachen über Operettenmelodien und Kirchenliedern "bis zu ,Gassenhauern', den Vorgängern des Schlagers", so Loechle.

Die alten Instrumente und Notenblätter wurden oft durch Zufall entdeckt. "Beim Entrümpeln von Speichern, da ist schon einiges zum Vorschein gekommen", weiß Reinhard Loechle. Einiges sei leider auch verloren gegangen. Der spektakulärste Fund, mehrere tausend Musikstücke der Reiser-Kapelle aus Thalheim, kam vor vielen Jahren in Koffern zum Vorschein. Die Reisers waren schon im 19. Jahrhundert eine Musikerdynastie. Der Fund ist deshalb so außergewöhnlich, weil es für alte volksmusikalische Stücke nur wenig Schriftliches gibt. "Oft wurde nur der Titel vom Zwifachen aufgeschrieben und den Text dazu hat man einfach gewusst und so weitergegeben", erklärt Loechle, dem das Archiv sehr am Herzen liegt. Nun sollen die Notenblätter digitalisiert werden und, so hofft Loechle, in spätestens fünf Jahren online zugänglich sein. Zudem ist für diesen Herbst eine Ausstellung der Reiser-Sammlung im Bauernhausmuseum Erding geplant.

Der Name Wally Lex sei mit der Geschichte der Kreismusikschule Erding untrennbar verbunden, betont Reinhard Loechle. Sie war von Anfang an dabei, schon im ersten Schuljahr 1971/72 nach Gründung der Kreismusikschule war sie zunächst als Schülermutter bei der Einrichtung des ersten bayerischen Musikschul-Elternbeirates in Erding maßgeblich beteiligt, so Reinhard Loechle. Alle Stationen der Kreismusikschule habe Wally Lex mitgemacht: Den Auf- und Ausbau der Musikschule, "insbesondere während der schwierigen Anfangsphase und einer rasanten Schulentwicklung von 150 auf 3000 Musikschüler und -schülerinnen", wie der ehemalige Schulleiter erklärt. Die Selbständigkeit der KMS 1994. Den Einzug der Musikschule in das umgebaute alte E-Werk der Stadt Erding am Gries im Jahr 1975. Im Erdinger Archiv ist die Geschichte der Kreismusikschule vollständig dokumentiert, das sei von keiner anderen Musikschule in Bayern sonst bekannt, so Loechle.

Nach der überregional bedeutsamen Entdeckung des Notenschatzes der Reiser-Kapelle in Thalheim inventarisierte Wally Lex mit Hilfe des Volkskundlers Max-Josef Liertz vom Institut für Volkskunde der bayerischen Wissenschaften in München das gesamte Werk mit Handschriften und Noten mehrerer Musikanten-Generationen im Landkreis. Liertz selbst hat die meisten Stücke seiner Sammlung - Instrumente, Noten, Fotos, Aufzeichnungen - nach seinem Tod dem Erdinger Archiv der KMS überlassen.

In Zusammenarbeit mit Liertz hatte Wally Lex mit der Inventarisierung begonnen. Nach dem Umzug der KMS 1995 in das neue Musikschul-Gebäude an der Freisinger Straße übernahm die Erdingerin die Einrichtung und den Ausbau des nun beträchtlich gewachsenen Archives und die Inventarisierung des gesamten Noten-, Bild- und Tonbandbestandes einschließlich Jahresberichten und Chroniken, wobei sie regelmäßig mit dem Bayerischen Staatsarchiv zusammenarbeitete. Bis 2015 arbeitete sie als freie Mitarbeiterin in "ihrer" Notensammlung, wie Loechle sagt. Fundstücke würde Reinhard Loechle weiterhin gerne in Empfang nehmen. Auch wenn er weiß, dass die Chancen auf einen weiteren Notenschatz wie damals bei der Reiser-Kapelle immer geringer werden.

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SZ vom 09.02.2021
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