Kommentar:Humanität gibt es nicht zum Nulltarif

Landrat Bayerstorfer kritisiert die Arbeit im Warteraum Asyl. Zu Unrecht - und zu einem ungünstigen Zeitpunkt

Von Sebastian Fischer

Zwischen Wegscheid und Erding liegen knapp 180 Kilometer. Wegscheid liegt hinter der Landkreisgrenze, dafür ist Martin Bayerstorfer nicht zuständig. Aber es hat eben genau mit jener 6000-Einwohner-Gemeinde Wegscheid zu tun, in die täglich Tausende Flüchtlinge über die Grenze nach Bayern strömen, dass Vieles unpassend war, was der CSU-Landrat in dieser Woche über die Situation im Erdinger Warteraum Asyl gesagt hat.

Das Bundesamt für Migration (Bamf) hat den Warteraum eingerichtet, um Orte wie Wegscheid zu entlasten. Das ist dringend nötig: Dort warten die Menschen an der Grenze in Decken eingewickelt, frieren, fürchten sich. Und hier schimpft Bayerstorfer über Schwarzbauten, in denen sie im Warmen schlafen dürfen, und über Trinkwasserleitungen, die er nicht abnehmen will. Er schimpft über die Organisation: Die sei chaotisch und gestatte den Flüchtlingen, zu ihren Verwandten weiterzureisen, unregistriert! Er schimpft über Müll, den sie hinterlassen und über Kosten, die Krankentransporte für den Landkreis verursachen, der nicht zuständig sei. Es ist sein Recht, das zu tun. Vielleicht wäre es in einer anderen Situation sogar richtig - in der Notsituation ist es ein falsches Signal.

Dazu passt, dass er Zahlen missdeutet. Bayerstorfer spricht von 69 unbegleiteten Minderjährigen an zwei Tagen, für die der Landkreis trotz anderweitiger Absprachen in die Verantwortung gezogen werde. Tatsächlich kamen 69 - und reisten weiter. Zuständig ist der Landkreis laut Innenministerium für kein einziges Kind. Und übrigens: Laut Ministerium sind die täglichen Gespräche mit den Mitarbeitern des Landratsamtes, anders als von Bayerstorfer beschrieben, produktiv, Lösungen absehbar. Beispiel: Die Stadt Erding hat zwei Zelte abgenommen, in denen Flüchtlinge schlafen sollen.

Im Warteraum wird wichtige Arbeit geleistet. Deshalb muss ein Landrat keine Lobeshymnen auf das Innenministerium singen, das ihm vieles zumutet. Aber deshalb könnte er auf die Lösung kleinerer Probleme vertrauen, ohne gleich die Akzeptanz in der Bevölkerung für ein notwendiges Projekt zugefährden. Um dem Eindruck entgegenzuwirken, ihm fehle Empathie für Flüchtlinge und Flüchtlingshelfer, will Bayerstorfer bald ein Fest veranstalten. Eine schöne Idee. Noch schöner wäre eine Äußerung wie die von den Bürgermeistern beim Deutschen Städtetag am Donnerstag: Ja, wir ächzen unter dem Druck! Die Unterbringung von Flüchtlingen ist ja kein exklusives Erdinger Problem. Ja, der Bund ist gefordert! Aber auch: Ja, wir müssen Opfer bringen! Denn, so haben es seine Kollegen in ihren Bericht geschrieben: "Humanität ist nicht zum Nulltarif zu haben."

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