Süddeutsche Zeitung

Klinikum Erding:Kreißsaal wird geschlossen

Wegen akutem Hebammenmangel sind von Juli bis September keine natürlichen Geburten mehr möglich. Babys können hier nur noch durch geplante Kaiserschnitte auf die Welt kommen.

Von Florian Tempel, Erding

Zuletzt meldete das Klinikum Erding stolz steigende Geburtenzahlen. Das ist definitiv vorbei. In den kommenden drei Monaten wird es im Klinikum Erding keine natürlichen Geburten mehr geben, nur noch vorher zeitlich festgelegte Kaiserschnitte. Der Grund sind "schwerwiegender Personal-Engpässe im Bereich der Beleghebammen", heißt es in einer Pressenmitteilung, die am Freitagmittag herausgegeben wurde. Und weiter: "Der Betrieb des Kreißsaals im Klinikum Erding in den drei Sommermonaten Juli, August und September kann nur eingeschränkt aufrecht erhalten werden. Von Montag bis Freitag werden in den Sommermonaten ausschließlich geplante Kaiserschnitte durchgeführt."

Alles Suchen blieb erfolglos

Schwangere aus Erding und dem Landkreis müssen auf andere Geburtskliniken ausweichen, nach Freising, München oder Landshut. Das Klinikum Erding hat, wie die meisten Krankenhäuser, keine festangestellten Hebammen. Die Geburtshilfe-Abteilung arbeitet mit freiberuflichen Hebammen zusammen. Die Hebammen haben sich dazu in eine Gemeinschaft zusammengeschlossen, die mit der Klinik einen Kooperationsvertrag geschlossen hat. Das Hebammenteam habe jedoch aktuell zu wenige Mitglieder, um die Dienstzeiten im Kreißsaal komplett abzudecken. Julia Berndt gehört zum Hebammenteam am Erdinger Klinikum. Anfang des Jahres ist sie selbst Mutter geworden. Eine andere Kolleginn ist auch in Elternzeit. "Vorher waren wir junge Vollzeitkräfte", sagt Berndt. Zuletzt haben sich sieben Hebammen, von denen nur vier in Vollzeit arbeiten, die 60 Dienste pro Monat im Kreißsaal geteilt. Eine Dienstschicht beginnt mit zwölf Stunden Rufbereitschaft, an die sich zwölf Stunden Präsenzdienst im Klinikum anschließen. Eine Hebamme ist von 6 bis 18 Uhr da, bevor sie eine Kollegin ablöst und von 18 bis 6 Uhr für die Gebärenden da ist. Bei Bedarf kommt die Hebamme dazu, die Rufbereitschaft hat. Sie und ihre Kolleginnen hätten zuletzt auch mal 80 Stunden-Wochen gehabt, sagt Raphaela Hiller, die Sprecherin des Erdinger Hebammenteams.

Auf Dauer ist das nicht durchzuhalten. Die Hebammen haben in den vergangenen Monaten selbst nach Kolleginnen gesucht, ohne Erfolg. Auf ihre Anzeigen hat sich niemand gemeldet. Julia Berndt wundert das nicht: "Wir kriegen ja selbst Anrufe von Kliniken, die uns abwerben wollen." Auch das Münchner Klinikum rechts der Isar, dem das Erdinger Haus als akademisches Lehrkrankenhaus besonders verbunden ist, konnte ebenso wenig aushelfen, wie andere Kliniken in der Region. Jedes Haus braucht seine eigenen Hebammen und muss darauf bedacht sei, sie unbedingt zu halten. Der gleichzeitige Ausfall von Hebammen im Erdinger Team ist zwar der konkrete Grund, der zur vorübergehenden Schließung des Kreißsaals geführt hat.

Die tiefere Ursache ist aber der bundesweite Hebammenmangel, der in Oberbayern besonders brisant ist. Raphaela Hiller nennt einen wesentlichen Grund für den Hebammenmangel: Teilzeitarbeit lohnt sich für Hebammen nicht, da die Berufshaftpflicht so enorm teuer ist. In diesem Jahr muss eine Hebamme fast 8000 Euro Versicherungsprämie zahlen. Viele Hebammen, die in Teilzeit arbeiten würden, lassen es deshalb ganz sein. In Bad Tölz hat die Geburtshilfeabteilung am 1. April geschlossen. Am Mittwoch wurde bekannt, dass auch der Kreißsaal der kommunalen Klinik in Bad Aibling wegen Hebammenmangels schließen muss. Eine private Geburtsklinik in Gräfelfing macht Ende September dicht. In Erding soll es da wieder weitergehen.

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Quelle:
SZ vom 24.06.2017
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