Klimawandel„Die Katastrophe kommt schleichend“

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Die Natur kann grausam sein, aber auch wunderschön: „The storm ist leaving“ heißt dieses Foto von  Michael Sachweh, aufgenommen in Oklahoma.
Die Natur kann grausam sein, aber auch wunderschön: „The storm ist leaving“ heißt dieses Foto von  Michael Sachweh, aufgenommen in Oklahoma. (Foto: Michael Sachweh)

Mitten in einer Hitzewelle blickt der Erdinger Meteorologe Michael Sachweh voller Sorge auf den Sommer. Über die Auswirkungen des Klimawandels, die Grenzen von Prognosen  – und seinen mitunter schweißtreibenden Job als Berater bei Open-Air-Konzerten.

Interview von Regina Bluhme, Erding

Mit Stürmen, Hitze und Hagel kennt Meteorologe Michael Sachweh sich aus.  Seit 25 Jahren ist er Wetterexperte im Bayerischen Fernsehen, er hat Bücher über Wetter und Klima verfasst und Robbie Williams bei einem Open-Air-Konzert in München beraten. Der 65-Jährige aus Erding ist zudem ein international preisgekrönter Fotograf und als leidenschaftlicher Stormchaser regelmäßig in den USA Wetterextremen auf der Spur.  Ein Gespräch an einem sonnigen Tag Mitte Juni über die Folgen des Klimawandels in der Region und der Welt, über den Schrecken und die Schönheit des Wetters.

SZ: Herr Sachweh, heute sind die Temperaturen angenehm. Ein normaler Junitag, oder?

Michael Sachweh: Ja. Heute hat es in der Spitze 24 Grad, das ist für Juni ziemlich normal. Aber Sie haben sicher den trüben Himmel in den letzten Tagen bemerkt - das ist Asche der Waldbrände in Kanada, die mit der Luftströmung zu uns gelangt ist.

Extreme Waldbrände werden auch bei uns mehr werden.

Der Klimawandel ist da.  Wir werden hier mehr Hitzewellen haben mit längerer Dauer und höheren Temperaturen. Es drohen Dürregefahr und Wassermangel, und auch mehr Waldbrände. Zugleich wird es mehr lokale Unwetter geben. Das sind die wahrscheinlichsten Auswirkungen des Klimawandels  - und die sind auch nicht aufzuhalten.

Gerade Städte kämpfen gegen die Hitzeplage.

Hitzewellen sind die tödlichste Variante des Extremwetters. Wir hatten 2015, 2018 und 2022 jeweils mehr als 3000 Hitzetote in Deutschland. Das wird in der Öffentlichkeit nicht so wahrgenommen, der stille Tod im Kämmerchen macht keine Schlagzeilen. Das Fatale am Klimawandel ist ja, dass das Ganze nicht abrupt kommt, die Katastrophe kommt schleichend. Wir müssen aufpassen, dass wir nicht das ganze Geld, das uns zur Bekämpfung des Klimawandels zur Verfügung steht, in Maßnahmen zur Einsparung unserer CO₂-Emissionen stecken - wir brauchen auch Geld die Anpassung an den unvermeidlichen Auswirkungen des Wandels. Altenheime müssen dringend klimatisiert werden, und auch Kliniken. Beim Thema Klimaanlagen ist Deutschland noch ein Entwicklungsland.

Wo wird unsere Region besonders betroffen sein?

Hitze und Dürre treffen zum Beispiel den Landkreis Erding ganz besonders, denn hier sind 70 Prozent Fläche landwirtschaftlich bewirtschaftet. Und unsere Landwirtschaft braucht Wasser, das durch den Trend in puncto Erwärmung und Dürre ein zunehmend kostbares Gut wird.

Michael Sachweh  in der BR-Sendung „Wir in Bayern" am 4. Juni 2025.
Michael Sachweh  in der BR-Sendung „Wir in Bayern" am 4. Juni 2025. (Foto: Bayerisches Fernsehen/Michael Sachweh)
Jeder Blitz ist ein Unikat der Natur: Michael Sachweh hat das Foto „Lightning strike“ in Texas fotografiert.
Jeder Blitz ist ein Unikat der Natur: Michael Sachweh hat das Foto „Lightning strike“ in Texas fotografiert. (Foto: Michael Sachweh)

Viele Städte haben inzwischen einen Klimaschutzmanager angestellt.  Erding hat sich gerade auch dazu entschlossen und will Sie für einen Vortrag in den Stadtrat einladen. 

Ich finde die Stelle eines Klimaschutzmanagers für sinnvoll. Er kann Aufgaben bündeln, sich mit Experten oder Kollegen aus anderen Städten abstimmen und besprechen, Maßnahmen präsentieren. Zugleich kann von Erding ein wichtiges Signal ausgehen, denn der Antrag für die Stelle des Klimaschutzmanagers kam gemeinsam von CSU und Grünen. Das ist wichtig. Die Politik muss hier über alle Parteigrenzen hinweg zusammenarbeiten.

Dabei hat man den Eindruck, der Klimaschutz stagniert. Siehe USA.

Wir brauchen einen Schulterschluss zwischen den Nationen, vor allem müssten die Hauptemittenten von Treibhausgasen - USA, China und Indien   - mitmachen. Aber momentan fragen sich viele: Wenn die USA unter Trump jetzt ohne großes schlechtes Gewissen den Klimaschutz einstampfen, warum sollen wir uns dann bemühen?

Was wäre denn das schlechteste Szenario?

„Business as usual“, wie die Experten dieses schlimmste aller Klimawandelszenarien nennen: Das heißt, es geht mit dem Anstieg der Treibhausemissionen so weiter wie bisher. Dann steigen die globalen Temperaturen in den kommenden 30 oder 40 Jahren nicht um zwei oder drei Grad an, sondern um mehr als fünf Grad.  München fünf Grad wärmer - das ist Rom, eine ganz andere Klimazone. Wobei Menschen in Rom an das heißere Klima angepasst sind, und wir nicht. Es wird noch sehr viele Hitzetote geben. Daher nochmals mein Appell, Geld in die Klimatisierung vor allem von Altenheimen zu stecken.

Dürre ist das Eine. Das Andere sind die gefürchteten Sturzregen. Warum lassen sich örtliche Sturzregen so schwer vorab bestimmen?

Es ist ganz schwer und für einen Meteorologen überhaupt die schweißtreibenste Aufgabe, diese lokalen Unwetter vorherzusagen. Sogar der erfahrenste Meteorologe fährt auf Sicht. Wenn das Unwetter im Radar noch nicht zu erkennen ist, kann es sich, gerade bei diesen zukünftigen Temperaturen, wie in den Tropen explosionsartig entwickeln. Ein schweres Gewitter zieht auch nicht auf gerade Linie auf, sondern bewegt sich oft wie ein Hase auf der Flucht, schlägt Haken. Und dann kann es auch noch sein, dass sich Gewitter gegenseitig beeinflussen. Der Deutsche Wetterdienst warnt daher lieber einmal zu viel als zu wenig.

Was halten Sie von Handy-Wetter-Apps?

Naja. Sie werden schon immer besser. Aber viele Apps haben nur ein einziges Symbol, das dann das Wetter an dem Tag beschreiben soll. Das reicht nicht. Für kurzfristige Entscheidungen empfehle ich eine Radar-App. Da können Sie dann etwa mit Blick auf einen Biergartenbesuch sicher sehen, ob der Ort auf der Ziellinie des Unwetters liegt, oder ihn voraussichtlich verschont.

Bei Open-Air-Konzerten ist ja eine Vorhersage wichtig. Wie war das denn mit Robbie Williams?

Bei dem Konzert in München vor einigen Jahren sah es zunächst nach Regen aus, ziemlich wechselhaft. Mit Robbie Williams hatte ich persönlich keinen Kontakt, aber mit dem Veranstalter war ich von meinem Büro aus ständig im Austausch. Das Konzert musste aber nicht abgesagt werden. Ich habe auch schon für Helene Fischer gearbeitet und für die Münchener Philharmoniker bin ich regelmäßig bei Open Air beratend tätig. Das ist mir insofern immer eine Ehre, weil diese sogenannten Punkt-Termin-Prognosen die Königsdisziplin innerhalb der Wettervorhersage sind. Anders als im Radiowetter, wo es reicht, das Wetter mit „teils sonnig, teils wolkig, örtlich Gewitter“ zu beschreiben. Das ist keine große Kunst. Aber zeitlich und geografisch das Wetter auf den Punkt zu bringen, das ist eine Herausforderung.

Lagen Sie mit der Prognose für ein Open Air schon mal daneben?

Richtig daneben nicht. Aber manchmal ist es wirklich eine knappe Nummer. Zum Beispiel vor einigen Jahren bei der Beratung des „Sommernachtstraum“ im Olympiapark. Da zog ein heftiges Gewitter näher an der Veranstaltung vorbei als gedacht und sorgte auch am Himmel für ein Feuerwerk. Wurde fast ein „Sommernachtstrauma“ für mich, alles sehr schweißtreibend. Mithilfe von Radar-Apps kann ich den Veranstaltungen aber im Normalfall schon ziemliche präzise sagen, was auf sie zukommt, und dann sagen diese bei erhöhter Gewitterneigung aus  versicherungsrechtlichen Gründen ab, und ich bin auch aus dem Schneider. Vor einem Jahr ging ein Open Air mit der Geigerin Anne-Sophie Mutter gerade noch bis zur Pause, dann habe ich gesagt: Lasst es sein. Aber alles im Einklang.

Schlechtes Wetter ist für Sie als Gewitterjäger wiederum gut.

Richtig. Für uns ist ein sich anbahnendes Unwetter natürlich „Schönwetter“. Seit 17 Jahren gehe ich regelmäßig mit anderen Extremwetterexperten, meist vom Deutschen Wetterdienst, in den USA auf Tornadojagd. Seit zehn Tagen bin ich von der letzten Reise zurück. 10 600 Kilometer durch sieben Bundesstaaten - fragen Sie mich nicht nach meinem CO₂ Fußabdruck. Aber Stormchasing, das ist meine absolute Leidenschaft.

Einige Ihrer Fotos von den Naturgewalten sind preisgekrönt.

Ja, bei internationalen Fotowettbewerben. Es geht mir dabei gar nicht so um die Unwetter, sondern um die Naturerlebnisse. Und mich begeistert die optische Schönheit, zum Beispiel von Wolken.  Blitze mag ich besonders gern. Jeder Blitz ist anders, ist ein Unikat der Natur.

Nach 25 Jahren treten Sie jetzt beim BR kürzer.

Ich hatte jetzt „Silberne“ Hochzeit mit dem BR. Nach 25 Jahren bin ich aus dem täglichen Routinedienst ausgeschieden, bleibe aber meiner Wetterleidenschaft treu. So bin ich im BR weiterhin als Interviewpartner gefragt, berate nach wie vor Open-Air-Events wie zum Beispiel die Erlanger Bergkirchweih, das zweitgrößte Volksfest in Bayern, oder Klassik-Aufführungen in München. Und auch die Piloten der Rosenheimer Hagelabwehr betreue ich, wie schon seit  20 Jahren.

Eine Frage zum Schluss: Wie wird heuer der Sommer?

Was den Sommerbeginn betrifft, wissen wir: Er war zunächst eher Herbst-mäßig. Inzwischen haben wir gerade die erste Hitzewelle der Saison hinter uns. Manche Meteorologen lehnen sich prognostisch gerne weit aus dem Fenster, aber ein seriöser Meteorologe gibt keine saisonalen Prognosen ab, so weit kann heutzutage noch nicht blicken. Das Metier der sogenannten Jahreszeitenprognosen steckt noch in den Kinderschuhen.  Was ich aber sagen kann: Wir können uns aufgrund des rekordtrockenen Frühjahrs eigentlich von der Trockenheit her nicht erlauben, einen heißen Sommer mit wenig Regen zu bekommen. Dann haben wir ein ganz großes Problem.

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