Klimaschutz:"Der Natur sind wir egal"

Der Astrophysiker Harald Lesch und der Mediziner Martin Herrmann sprechen auf Einladung von Ulrike Scharf über Klimaveränderungen und deren Auswirkungen - und rufen zum Mitmachen bei "Fridays for Future" auf

Von Regina Bluhme, Erding

Ein Astrophysiker und ein Arzt halten einen Vortrag - und der Schrannensaal der Sparkasse Erding-Dorfen kann die Zuhörermenge kaum fassen. Knapp 300 Besucher aller Altersklassen wollten am Donnerstagabend hören, was Harald Lesch, Professor an der LMU München und bekannter TV-Moderator, und Martin Herrmann, Arzt und Vorsitzender der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit (Klug), zum Thema Klimawandel zu sagen hatten. Eindringlich, faktenreich und mitreißend appellierten sie an ihre Zuhörer: Es gibt keine Klimakrise, es handelt sich vielmehr um einen akuten Notfall. Zwischendurch brandete immer wieder Applaus auf, bis auf einmal auch vonseiten der CSU-Prominenz. Zum Schluss gab es Standing Ovations für die beiden Referenten und eine Umarmung für Jule Maylandt von "Fridays for Future" Erding.

"Ich bin überrascht über diesen unglaublichen Zuspruch", begann Ulrike Scharf ihre Begrüßung. Die Erdinger CSU-Landtagsabgeordnete und ehemalige bayerische Umweltministerin hatte zu der Veranstaltung eingeladen. Sie fasste sich kurz, im Anschluss sprach Heinrich Förster vom CSU-Arbeitskreis Umweltsicherung, der vor allem darauf verwies, dass der Landkreis gar nicht so schlecht dastehe, zum Beispiel beim Stromverbrauch.

Dann krempelte Harald Lesch die Ärmel seines Hemds hoch und stellte gleich mal klar: Das soeben geschnürte Klimaschutz-Paket der großen Koalition sieht er skeptisch. Es sei zu lasch, festgezurrt in einer 19-stündigen Nachtsitzung, "ich hab' gedacht, ich hab' sie nicht mehr alle". Berlin hätte sich besser noch zwei Wochen Zeit geben sollen. Deutschland müsse weg von der Kohle, auf jeden Fall noch vor 2050 CO₂-frei werden. Dazu erschreckende Bilder an der Leinwand: Brände in Grönland, Temperaturkurven, die immer schneller nach oben gehen. "Das Eis in der Antarktis schmilzt, weil es wärmer wird. Das ist ein Naturgesetz, und mit der Natur kann man nicht verhandeln." Es heiße immer, wie man in den Wald hinein rufe, so schalle es heraus, sagte Lesch. "Ich hör' nichts" - der Wald rufe nicht - "der Natur sind wir egal, die ist nicht unser Ansprechpartner." Im Saal war es nun mucksmäuschen still. Es gehe längst nicht mehr um eine Krise, "der Wandel ist da", betonte der Astrophysiker und Klimaexperte. "Wir müssen endlich alles versuchen, um den Schaden zu begrenzen." Ob das gelingen wird? Er hoffe es. Wenn nicht, drohe "Multiorganversagen".

Klimaschutz: Harald Lesch schilderte unterhaltsam und aufrüttelnd zugleich den Zustand der Erde.

Harald Lesch schilderte unterhaltsam und aufrüttelnd zugleich den Zustand der Erde.

(Foto: Renate Schmidt)

Martin Herrmann, Initiator von Klug, einem bundesweiten Netzwerk von Gesundheitsexperten, referierte im weißen Arztkittel. Der Klimawandel sei die größte Bedrohung für die Gesundheit, betonte er. An die CSU-Prominenz in der ersten Reihe richtete er die Frage, ob es in den Kommunen oder im Landkreis Hitzeaktionspläne gebe für Krankenhäuser oder Altenheime? "Was tun Sie, wenn es über Wochen künftig 32 Grad hat?" Eine Aufbruchstimmung könne er jedoch in Deutschland nicht erkennen, fügte Herrmann hinzu. Er verstehe nicht, dass Bayern beim Kampf gegen den Klimawandel nicht wie sonst auch danach strebe, der Beste zu sein. "Wo ist da der bayerische Löwe?", fragte er unter donnerndem Applaus.

Dabei sei es jetzt wichtig, auf allen Ebenen Maßnahmen zu ergreifen. Auch auf lokaler Ebene müssten Maßnahmenkataloge erstellt und Netzwerke geknüpft werden. Sein medizinischer Rat: "Ruhig bleiben, zuhören, lernen und den Dingen klar ins Auge sehen."

Klimaschutz ist Gesundheitsschutz, betonte Herrmann. Eine wichtige Rolle spielten Change Agents, Menschen die andere mitrissen, so wie Greta Thunberg, die die "Fridays for Future"-Bewegung initiiert hat. "Jeder von uns kann ein Change Agent sein", betonte Herrmann. "Gehen Sie freitags demonstrieren!" Darauf folgte begeisterter Applaus, nur die erste Reihe klatschte an dieser Stelle nicht mit. Dort saßen neben dem Erdinger Sparkassenchef Joachim Sommer Erdings Oberbürgermeister Max Gotz (CSU), Hans Wiesmaier, CSU-Bürgermeister von Fraunberg und Kreisvorsitzender des Gemeindetags, sowie weitere CSU-Kommunalpolitiker. Der reservierte Stuhl für Landrat Martin Bayerstorfer (CSU) war leer geblieben.

Klimaschutz: Martin Herrmann sprach aus der Sicht des Mediziners.

Martin Herrmann sprach aus der Sicht des Mediziners.

(Foto: Renate Schmidt)

Der langjährige ehemalige Erdinger CSU-Bundestagsabgeordnete Max Lehmer ergriff im Anschluss das Wort. Er vermisse einen konkreten Handlungsplan, erklärte er. Dafür erntete er einen lauten Buhruf aus dem Publikum. Harald Lesch verwies darauf, lokal müssten individuelle Pläne erstellt werden. Im Übrigen, das konnte sich Lesch nicht verkneifen, seien Klimaforscher "seit 30 Jahren inständig anflehend an Politiker herangegangen", ohne Gehör zu finden.

Zum Schluss erhielt Jule Mailandt, Sprecherin von "Fridays for Future" Erding das Mikrofon. Was der Landkreis und die Stadt Erding denn konkret auf lokaler Ebene für den Klimaschutz täten, wollte sie wissen. Ulrike Scharf sprach sozusagen für die Landesebene: Es gebe immerhin ein Klimaanpassungskonzept und Maßnahmen für den Hochwasserschutz. Der Erdinger Oberbürgermeister Max Gotz kündigte an, dass in nächster Zeit ein Klimabeirat in Erding installiert werden soll, überparteilich und offen für "Fridays for Future" oder Umweltschutzverbänden. Er sehe durchaus den Handlungsbedarf, fügte er hinzu, "wir wollen zeigen, dass wir lernen".

Klimaschutz: Unter den Zuhörern waren unter anderem die ehemalige Umweltministerin Ulrike Scharf und Erdings OB Max Gotz (von rechts).

Unter den Zuhörern waren unter anderem die ehemalige Umweltministerin Ulrike Scharf und Erdings OB Max Gotz (von rechts).

(Foto: Renate Schmidt)

Dann hat sich Lesch wenigstens nicht umsonst "Fusseln vorm Mund" geredet bei den Vorträgen, die er mit Herrmann hält. Einige Zuhörer baten um ein gemeinsames Foto mit Lesch oder Herrmann.

Auch Jule Maylandt wurde von einer Zuhörerin angesprochen. "Ich finde super, was du machst", sagte die Frau, "darf ich dich umarmen?" Sie durfte.

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