Haus der Handarbeit:Ende einer Erdinger Institution

Am 31. März schließt Marianne Braun ihr Geschäft in der Langen Zeile. Vier Jahrzehnte hat sie mit ihren Mitarbeiterinnen einen dankbaren Kundenkreis individuell beraten

Von Elisaveta Germann, Erding

In der Langen Zeile Erdings endet nicht nur ein Geschäft, sondern die Institution des legendären "Strickkreises", das zweite Zuhause aller Strickliesl. "Das Haus der Handarbeit" ist für seine stets offene Tür für ratlose Kunden bekannt. Nach mehr als vier Dekaden löst die 79-jährige Geschäftsführerin Marianne Braun das "Haus der Handarbeit" am 31. März auf. Sie kann erstens aus Altersgründen ihren Laden nicht mehr weiterführen, zweitens gibt es keinen Nachfolger.

Viele Kunden bedauern, dass das Braun- Haus zu macht. "Wenn es keinen Nachfolger gibt...", lässt eine von drei Frauen, die an der Kasse warten, den Satz unvollendet. "Ach was, ich übernehme den Laden!", antwortet ihr eine etwas jüngere. Laut Marianne Braun gebe es niemanden, der sich um das Geschäft kümmern werde, obwohl sie einen Sohn und zwei Töchter habe. Sie selbst gehe mit einem Großteil ihrer Mitarbeiterinnen in Rente.

Noch sind im Schaufenster des Hauses Pullover, Handtücher und Stickzubehör ausgestellt. Innen sind die Regale an den Wänden gut bestückt mit Fäden in 800 Farben, von Pastell bis Neon. Nadeln, Aufnäher, Knöpfe, Bastelartikel gehören ebenfalls zum Sortiment. Mitten im Geschäft stehen zwei Tische, an denen Kunden und Beraterinnen zusammen an einem Kleidungsstück arbeiten. Ganz hinten im Laden befinden sich Stoffe und Nähzubehör. Schließlich steht am Rand der Geschäftsmitte ein runder Tisch, der zum "Strickkreis" gehört.

Haus der Handarbeit: Marianne Braun (rechts) in ihrem Reich der Wolle, Stoffe, Knöpfe und Nähgarne.

Marianne Braun (rechts) in ihrem Reich der Wolle, Stoffe, Knöpfe und Nähgarne.

(Foto: Renate Schmidt)

Alle Mitarbeiterinnen sind im vollen Laden beschäftigt, am Dienstagnachmittag ist das Braun Haus genauso belebt. "Jetzt ist natürlich etwas mehr los als sonst", sagt Marianne Braun: schon bald schließt das "Haus der Handarbeit", viele Waren sind reduziert. Dass der Laden schließt, erkennt ein Fremder nur an den gut gestopften Ständen mit der Beschriftung "Restposten".

Karl Braun gründete 1945 "Pelz Braun", das als Kürschnerei und Pelzgeschäft bekannt war. Erst zehn Jahre später legte er sich Wolle und Strickmaschinen zu. Nach und nach standen auch Handarbeitsartikel und Bastelbedarf zur Auswahl. Das heutige "Haus der Handarbeit" gibt es seit 41 Jahren. Als der Geschäftsgründer verstarb, führte ab 1956 seine Ehefrau Sophie Braun die Kürschnerei ihres Mannes. Ihr Sohn, Herbert Braun, heiratete ein Jahr später, und seitdem hat seine Frau Marianne Braun täglich im Laden mitangepackt. Im Laufe der Jahre übernahm das Paar den Laden, inzwischen führt Marianne Braun das "Haus der Handarbeit" alleine.

Marianne Braun verkauft nicht nur die nötigen Materialien für Handarbeit, sondern begeistert sich auch dafür. Gerade kümmert sie sich um eine Kundin, indem sie mit ihr die Maschen für einen Ärmel abzählt, die nächste steht schon an. Jeder Häkel- und Strickfreund ist im "Haus der Handarbeit" gut aufgehoben. Nachdem Kunden zur Probe ein Stückchen gehäkelt oder gestrickt haben - einen "Probefleckerl" -, schätzen Marianne Braun und ihre Kolleginnen, wie viele Maschen der jeweilige Kunde für sein Kleidungsstück braucht. Somit berät das "Haus der Handarbeit" jeden individuell. "Unsere Stammkunden kommen sogar aus dem Umkreis München, Freising und Landshut hierher", sagt Marianne Braun.

Haus der Handarbeit: Durch ihre Kompetenz erarbeitete sich Marianne Braun einen großen Kundenstamm.

Durch ihre Kompetenz erarbeitete sich Marianne Braun einen großen Kundenstamm.

(Foto: Renate Schmidt)

"Wie werde ich den speckigen Geruch von Schafswolle los?", will eine Frau wissen. Beim Umschauen merkt man, dass die große Kundschaft hauptsächlich aus Frauen im Alter zwischen 40 und 80 besteht. Ein paar Männer gibt es im Laden, jedoch nicht ohne weibliche Begleitung.

Vor einigen Jahren stand Häkeln und Stricken bei der jüngeren Generation groß im Kurs: 2014 wurde die Menge der Kundinnen unter 35 auf 30 Prozent geschätzt. Während Anfang vergangenen Jahres sich der Hype noch durchgesetzt hat, ist dieser wieder verebbt. Marianne Braun sagt, dass bei der Jugend der Handarbeitstrend "schon seit letztem Herbst am Abflauen" sei. An jenem Montag vertritt nur eine Frau die junge Generation.

Aber das macht für das Handarbeit-Geschäft keinen Unterschied: Am Markt sähe es für Handarbeiten grundsätzlich gut aus, betont Marianne Braun. Am runden, braunen Tisch des "Strickkreises" sitzen drei Frauen, die in kollektiver, stiller Konzentration an ihrem jeweiligen Kleidungsstück arbeiten. "Zwar bin ich nicht besonders gut im Stricken, aber dennoch stricke ich gerne", sagt die Erste, die schon zwei bunt gestreifte Teddys mit den Nadeln gefertigt hat. Nun kommen die Jäckchen dran. "Ich komme zum Stricken hierher, weil ich weiß, dass ich dann immer nachfragen kann."

Die Zweite hält stolz eine braune Jacke im Werden hoch. "Seit Jahren stricke ich und komme zum Strickkreis. Ich bin gut darin, aber Frau Braun kennt einfach gute Techniken." Wie man unter anderem die Knöpfe für die Jacke passend rein strickt, wisse Marianne Braun. "Diese Jacke will ich fertig kriegen, bevor der Laden schließt. Mir ist es viel lieber, hierher zu kommen, als mich über's Internet schlau zu machen - ich gehöre da zur alten Generation!", lacht sie. Die Dritte lächelt still, während sie einen hellblauen, unfertigen Handschuh aus ihrer Tasche rausholt.

Auf die Frage, was sie an ihrem Geschäft vermissen wird, antwortet Marianne Braun: "Alles, vor allem die vielen langjährigen netten Kunden."

Haus der Handarbeit: Handarbeit ist nicht nur Marianne Brauns Geschäft, sondern auch ihr Hobby.

Handarbeit ist nicht nur Marianne Brauns Geschäft, sondern auch ihr Hobby.

(Foto: Renate Schmidt)
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