Süddeutsche Zeitung

Taufkirchen:Hoffnung für Huntington-Patienten

Das kbo-Klinikum Taufkirchen kooperiert mit dem Universitätsklinikum Ulm. Die Mediziner erwarten derzeit einen Durchbruch, das Fortschreiten der Erkrankung bremsen zu können.

Von Thomas Daller

Seit 1998 gibt es das Huntington-Zentrum Süd am kbo-Klinikum in Taufkirchen. Die stationäre Behandlung mit 20 Betten ist ein Alleinstellungsmerkmal in Deutschland. Nun ist eine Kooperationsstruktur mit der Abteilung Neurologie am Universitätsklinikum Ulm in Vorbereitung.

Professor Dr. Georg Landwehrmeyer von der Universität Ulm, der als einer der führenden Forscher im Bereich Huntington gilt, sprach in Taufkirchen von der "konkreten Hoffnung, in das Fortschreiten der Erkrankung eingreifen zu können". Man stehe möglicherweise "jetzt vor einem Durchbruch", sagte Professor Dr. Peter Brieger, Ärztlicher Direktor des kbo-Klinikums. Und Taufkirchen solle bei dieser Kooperation "Modellcharakter für Deutschland" werden.

Die Huntington-Krankheit ist eine bis heute unheilbare erbliche Erkrankung des Gehirns, die typischerweise durch unwillkürliche unkoordinierte Bewegungen bei gleichzeitig schlaffem Muskeltonus gekennzeichnet ist. Betroffene leiden an der fortschreitenden Zerstörung eines Bereichs des Gehirns, der für Muskelsteuerung und grundlegende mentale Funktionen wichtig ist.

Die Krankheit beruht auf einem Defekt des sogenannten Huntington-Gens. Etwa 8000 Menschen sind in Deutschland von der Erkrankung betroffen, die meist zwischen dem 35. und 45. Lebensjahr ausbricht. Die Zahl der genetischen Anlageträger liegt bei etwa 90 000.

Das Huntington-Zentrum Süd in Taufkirchen wurde 1998 von Professor Dr. Matthias Dose gegründet, dem langjährigen Ärztlichen Direktor des kbo-Klinikums Taufkirchen, der ebenfalls an dem Pressegespräch teilnahm. Im Mittelpunkt stand dabei ein Konzept zur stationären und ambulanten Versorgung von Huntington-Patienten in allen Stadien der Erkrankung, das stetig weiterentwickelt und optimiert wurde.

"Es sind spannende Zeiten"

Die Schwerpunkte liegen auf neuropsychiatrischer Therapie, psychotherapeutischer Betreuung und komplexer sozialmedizinischer Beratung der betroffenen Patienten und ihrer Familien. Künftig soll das Leistungsangebot des Huntington-Zentrums an den steigenden Behandlungsbedarf angepasst werden und weiterhin die notwendige Forschung zu dieser unheilbaren Krankheit gesichert werden.

Einen Einblick in dieses Expertenwissen gab Professor Landwehrmeyer bei dem Pressegespräch im kbo-Klinikum Taufkirchen. Er sagte vorab, Taufkirchen habe 20 Jahre Erfahrung mit solider stationärer Versorgung, "das gibt es sonst nirgends". An anderen Standorten wie Heiligenhafen, Bochum oder an der Charité in Berlin werde das nur in einem viel kleineren Maßstab geleistet.

Das Huntington-Gen sei seit 1993 entschlüsselt, man wisse auch um die Veränderungen im Gehirn, die bestimmte Gehirnanteile schrumpfen lasse und Verbindungen deutlich geringer ausbilde. Diese Störung der Nervenzellen vollziehe sich während einer sehr langen Phase, in der man intervenieren könne. Bei anderen neurologischen Erkrankungen wie Alzheimer oder Parkinson gebe es diese lange Phase nicht.

Es gebe zur Zeit eine Reihe von Möglichkeiten, diese Erkrankung zu beeinflussen, die pharmakologische Therapie sei nur eine davon. Eine konkrete Hoffnung, beim Fortschreiten der Erkrankung eingreifen zu können, beruhe darauf, dass man die Nachbildung der Bauanleitung in den Genen reduzieren könne. "Es sind spannende Zeiten", sagte Landwehrmeyer, "dass wir 27 Jahre nach der Entdeckung dieses Gens hoffen dürfen."

Bereits in den vergangenen Jahren hat sich ein multiprofessionelles Team um die Huntington-Erkrankten gekümmert. Weil es sich um eine Erkrankung mit sehr vielen Gesichtern handelt, benötigt jeder Betroffene einen eigenen Behandlungsplan. Involviert sind Ärzte, Neuropsychologen, Logopäden, Ergotherapeuten und Sozialpädagogen. Auch Palliativpflege oder Wundmanagement ist mit dabei. Viele haben zudem Begleiterkrankungen wie Diabetes oder Krebs. Hinzu zählt auch das telefonische Angebot der Beratung von sehr vielen Familien im gesamten Bundesgebiet.

"Die Patienten kommen immer wieder zu uns", sagte Gabriele Leythäuser, die als Sozialpädagogin am Huntington-Zentrum arbeitet. Jetzt kämen auch Menschen, die bereits als Kinder ihre erkrankten Eltern, die ersten Huntingten-Patienten in Taufkirchen, besucht hätten. Manche davon hätten sich mit den Worten vorgestellt: "Erkennen Sie mich noch? Jetzt habe ich es auch."

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SZ vom 03.09.2020/amm
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