Süddeutsche Zeitung

Kampf gegen Wackersdorf:Lehrbeispiel für den Rechtsstaat

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Der ehemalige Schwandorfer Landrat Hans Schuierer schildert in Dorfen die Auseinandersetzung um den Bau der Wiederaufarbeitungsanlage

Von Thomas Daller, Dorfen

Wer in den 1980er-Jahren bereits politisch sozialisiert war, kennt Wackersdorf, die kleine Gemeinde im Oberpfälzer Landkreis Schwandorf, wo eine Wiederaufarbeitungsanlage (WAA) für Atommüll geplant war, was aber am Widerstand der Bürger scheiterte. Für die Jüngeren läuft nun ein Film in den Kinos an, der die Geschichte dieses Widerstands erzählt. Anlässlich der Premiere im Kino im Jakobmayer kam der damalige Landrat Schwandorfs, Hans Schuierer, auf Einladung der SPD nach Dorfen, um mit interessierten Bürgern über dieses Kapitel der Zeitgeschichte zu diskutieren.

Schuierer war 26 Jahre Landrat und ist mittlerweile 87 Jahre alt. Begleitet wurde er von Wolfgang Novak, seinerzeit Kassier der Bürgerinitiative gegen die WAA, der als wandelndes Archiv des Oberpfälzer Widerstands gilt. Schuierer schilderte, wie ihn der damalige Ministerpräsident Franz Josef Strauß schlichtweg angelogen hatte, als 1979 die ersten Gerüchte über die Anlage kursierten. Umweltminister Alfred Dick habe ihm dann wenige Wochen später unter strengster Vertraulichkeit erklärt, dass ein "sauberer Betrieb" mit 3600 Arbeitsplätzen geplant sei. Erst sei er "hochbegeistert" gewesen, bis ihm die Betreiberfirma dann die Pläne mit einem 200 Meter hohen Kamin gezeigt hätte. Den benötige man, um die radioaktiven Schadstoffe möglichst breit zu verteilen, erklärte man ihm auf seine Frage. Dann war es vorbei mit der Begeisterung, Landrat Hans Schuierer schloss sich dem Widerstand an.

Bis die Staatsregierung 1989 ihre Pläne schließlich aufgab, folgten Jahre mit nahezu bürgerkriegsähnlichen Zuständen: Jedes Wochenende seien Tausende Polizisten aus dem gesamten Bundesgebiet auf das Baugelände gekarrt worden. Zwei Polizeihubschrauber und 43 Wasserwerfer mit CS- und CN-Gas seien gegen die protestierende Bevölkerung eingesetzt worden. Man habe die Demonstranten niedergeknüppelt und Hunde auf sie gehetzt. "Das war eine Brutalität, das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen", sagte Schuirer.

Auch abseits des Baugeländes übte der Staat Druck aus: Der Verfassungsschutz habe Einwohnermeldeämter durchsucht, es habe Hausdurchsuchungen gegeben, Schikanen und mehr als 4000 Gerichtsverfahren gegen Demonstranten. "Aber alle Strafanzeigen gegen Polizeibeamte landeten im Papierkorb", sagte Schuirer, der sich noch lebhaft daran erinnern konnte, dass Beamte mit solcher Wucht auf Demonstranten einschlugen, dass ihre Schlagstöcke brachen. "Ich habe persönlich erlebt, wie ein Polizeihund einer jungen Frau einen Fetzen Fleisch aus dem Oberschenkel gerissen hat."

Nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl am 26. April 1986 verstärkte sich der Protest gegen die WAA. Als dann auch noch Ministerpräsident Franz Josef Strauß im Oktober 1988 starb, der die Anlage mit aller Macht durchsetzen wollte, stiegen die Betreiber 1989 aus dem Projekt aus. Die VEBA entschied sich für eine Wiederaufarbeitung der Brennstäbe in Frankreich, in La Hague. Offiziell wurde dies mit wirtschaftlichen Aspekten begründet, Schuierer betonte hingegen, sie hätten eingesehen, dass das Projekt gegen den Widerstand der Bevölkerung nicht machbar sei.

Seit mehr als 20 Jahren steht nunmehr ein BMW-Werk auf dem Gelände, das für die WAA vorgesehen war. 5000 Arbeitsplätze sind dort entstanden. Schuierer: "Wackersdorf sollte jedem im Gedächtnis bleiben. Es ist ein Muster- und Lehrbeispiel, was in einem Rechtsstaat und in einer Demokratie nicht passieren darf. Was die Bayerische Staatsregierung wollte, haben wir verhindert und das war nur in einer Demokratie möglich. Unser Widerstand hat sich gelohnt."

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Quelle:
SZ vom 06.10.2018
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