Süddeutsche Zeitung

Johano Strasser:"Aufwachen und Druck machen"

SPD-Vordenker legt der Basis in Dorfen dar, dass Ökologie ein soziales und somit ein sozialdemokratisches Thema ist

Von Florian Tempel, Dorfen

Als die Grundwertekommission der SPD 1973 gegründet wurde, war Johano Strasser noch nicht dabei. Er kam zwei Jahre später dazu. Seitdem jedoch, seit 44 Jahren, ist der Schriftsteller und Politologe Mitglied jenes intellektuellen Parteigremiums, das in kontinuierlicher Reflexion darüber nachdenkt, wie sozialdemokratische Politik aussehen sollte. Am Montagabend war Strasser, der unlängst seinen 80. Geburtstag gefeiert hat, nach Dorfen gekommen. Im Gasthaus am Markt analysierte er, worin die aktuelle Schwäche der SPD begründet sei und auf was sich die Partei fokussieren sollte. Die SPD müsse "Ökologie und das Soziale so zusammenbringen, dass daraus eine fortschrittliche Politik entsteht", sagte Strasser: "Wir müssen beweisen, dass wir ökologische Reformen so konzipieren können, dass sie nicht primär die Schlechtergestellten treffen."

Strasser legte dar, dass es - nicht zum ersten Mal - um eine Erneuerung der SPD gehe. Die aktuell in der Partei überall spürbare Verunsicherung, sei "nicht das Schlechteste", wenn man sich ändern wolle. Vielen sei zumindest schon eines diffus klar: "Ob der Fortschritt wirklich fortschrittlich ist, ist höchst fragwürdig." Zur Illustration zitierte Strasser einen Aphorismus des polnischen Satirikers Stanisław Jerzy Lec: "Ist es ein Fortschritt, wenn ein Kannibale Messer und Gabel benutzt?"

Die alte Position der SPD, auf ökonomisches Wachstum zu setzen, damit von den Überschüssen kontinuierlich einen Teil für sozialen Fortschritt verwendet werden kann, sei nicht mehr haltbar. Die schädlichen Nebenwirkungen des Wachstums seien vielfältig und betreffen alle Menschen. Einige Reiche könnten sich in naturnahe Refugien flüchten, für den Normalverdiener sei das keine Option. Die Qualität des Lebens lasse sich für die Allgemeinheit nicht mehr durch ökonomisches Wachstum verbessern. Unbelastetes Trinkwasser, saubere Luft, ausreichend grüne Umgebung, Ruhe statt Lärm und funktionierende Verkehrsmittel seien zugleich "öffentliche Güter" und "Interessen der kleinen Leute". Für letztere trage die SPD schon immer Verantwortung, als "Partei des sozialen Ausgleichs, der Daseinsvorsorge und der Existenzsicherung", die sie weiterhin, wenn auch mit einer anderen Grundeinstellung sein müsse.

Die SPD habe in der Vergangenheit bewiesen, dass sie vorausschauend Änderungen organisieren kann. Als Beispiel nannte Strasser die Umstrukturierung des Ruhrpotts, die schon vor vielen Jahrzehnten angepackt worden war. Gleichwohl sei die Partei dann aber in ihrem "neoliberalen Sündenfall" in die falsche Richtung gegangen. Dem freien Markt möglichst viel Raum zu lassen, sei nur "für die Reichen das beste Modell" und, "wenn man alles dem Markt überlässt, ist das Barbarei". Die SPD habe in großer Trägheit vor allem die Themen Energieversorgung und Verkehr zu lange liegen lassen und sich nicht darum gekümmert sozial gerechte Lösungen zu finden. Dafür sei sowohl die Parteiführung, aber auch die Basis verantwortlich, denn "die Basis liegt seit vielen Jahren in einem Dauerschlaf". Also gelte es aufzuwachen und wieder intensiv zu diskutieren - so wie früher.

Die Erinnerung an alte Zeiten, als Strasser und viele aus seinem Publikum - etwa 35 Zuhörer waren gekommen - jünger waren, bestimmte das weitere Gespräch. Auf die wiederholte Klage, dass bestimmte Themen wie ein anderes Bildungssystem oder eine humanere Flüchtlingspolitik nicht in der SPD diskutiert werden, erklärte er, dass das auch an einer alles glättenden Medienberatung liege, der die SPD-Spitze ausgesetzt sei. Unterschiedliche Meinungen würden als schädlich, statt als fruchtbar eingestuft. Strasser riet, man müsse "Druck machen, Druck machen, Druck machen". Zum Abschluss machte er seinen Parteifreunden Mut: "Ich glaube nicht, dass die Sache so hoffnungslos ist, wie manche denken."

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Quelle:
SZ vom 15.05.2019
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