"Jetzt ist mein Sohn ausgeglichener":Filz statt Plastik

Keine Barbie, kein Lego, die Eltern kochen das Mittagessen: Im Waldorf-Kindergarten "Kinderinsel" in Pretzen ist einiges ein wenig anders als in anderen Kindergärten

Von Isabel Käsbauer, Erding

Versteckt in einer Wohnsiedlung, und trotzdem nicht zu übersehen: Der Waldorfkindergarten "Kinderinsel" im Erdinger Stadtteil Pretzen fällt mit seiner in Orange gestrichenen Fassade auf, so wie auch viele andere Kindergärten. Trotzdem ist er ein wenig anders: Dort wird Waldorfpädagogik betrieben. Wer jetzt an das alte Klischee von den Kinder denkt, die ihren Namen tanzen, liegt Tanja Hertel zufolge falsch: "Wir haben einen geregelten Tagesablauf und orientieren uns stark nach den Jahreszeiten, das macht die Pädagogik in erster Linie aus", sagt Hertel. Seit September ist sie die neue Leiterin der Einrichtung.

Mit Begeisterung spricht sie vom Kindergarten, von der Pädagogik, von dem Konzept: "Man sieht, dass es den Kindern einfach gut tut." Denn ein geregelter Tagesablauf sei besonders für jene Kinder wichtig, die aus Familie kommen, bei denen es eben keinen festen Tagesablauf oder eine feste Konstante im Leben gibt. Die meisten Kinder wären dann mit dem ständig Neuem überfordert und gestresst. Dies konnte auch Lorena Erdmann, die Vorsitzende des Elternbeirats, an ihrem Sohn beobachten. Er besuchte im ersten Kindergartenjahr einen Regelkindergarten: "Ich habe beobachtet, wie es ihm einfach manchmal zu viel wurde. Jetzt ist er ausgeglichener. Er will gar nicht mehr heimgehen." Der Kindergarten bietet viel, der große Garten fällt sofort auf. Im ersten Stock befindet sich ein großer Gruppenraum, in dem alle Kinder an einem langen Tisch sitzen und sich - mehr oder weniger in Eigenregie - Brote schmieren. Aus der Küche riecht es nach Essen; jeden Morgen bringen die Eltern, die möchten, abwechselnd Mittagsessen für alle Kinder mit. Auf der anderen Seite des Gruppenraumes gibt es einen Intensivierungsraum mit Werkbänken, an denen die Kinder werkeln und basteln können.

Der Hauptraum unterscheidet sich auf den ersten Blick nicht von einem typischen Kindergarten: eine Bauecke, eine Puppenecke, ein Kaufladen, eine Kuschelecke. Aber manches fehlt hier doch, zum Beispiel Barbiepuppen oder Lego-Steine. "Wir haben keine Plastikspielsachen oder vorgefertigte Spiele wie Puzzle", sagt Hertel. Die Kinder sollen in Pretzen selbst zum Denken angeregt werden und nicht nur tun, was man ihnen vorgibt. Sie spielen mit gefilzten Puppen und Naturmaterialien, und dann findet man im Erdgeschoss aber doch noch: den Tanzraum.

Trotzdem gehe der Waldorfkindergarten mit der Zeit, sagt Hertel. "Da wir in Erding keine Waldorfschule haben, gehen viele Kinder danach in eine Regelgrundschule. Deswegen müssen wir die Kinder vorbereiten, wie es ein normaler Kindergarten auch tut", sagt die Leiterin. Der Kinderinsel beitreten kann jedes Kind ab zweieinhalb Jahren. Herkunft, Religion oder soziales Milieu sind egal. Die Kinder sollen alle gleich behandelt werden, keines sich ausgegrenzt fühlen.

"Jetzt ist mein Sohn ausgeglichener": Tanja Hertl ist seit September dieses Jahres Leiterin der Waldorf Kinderinsel in Erding.

Tanja Hertl ist seit September dieses Jahres Leiterin der Waldorf Kinderinsel in Erding.

(Foto: Renate Schmidt)

Den größten Unterschied zu einem Regelkindergarten erfahren aber vielleicht die Eltern, denn die Kinderinsel ist eine Elterninitiative. Die Mütter und Väter wissen genau, was sich im Kindergarten tut und nehmen darauf auch Einfluss. Für viele sei diese Transparenz sehr wichtig: "Ich möchte mein Kind nicht einfach irgendwo abgeben und nicht wissen, was es die ganze Zeit macht", sagt die Elternbeiratsvorsitzende Lorena Erdmann.

Im Austausch für diese Transparenz müssten die Eltern aber auch selbst Hand anlegen. So kann man sich als Elternteil aussuchen, ob man lieber für alle die Wäsche macht oder mal die Hecke schneidet. "Was nicht gemacht wird, bleibt dann eben liegen," sagt Hertel. Die meisten Eltern machten die Arbeiten gerne: "So zeige ich meinem Kind eine gute Lebenweise", sagt Lorena Erdmann.

Und Angst, aufgrund des Waldorf-Klischees belächelt zu werden, müssten die Eltern heute nicht mehr haben. Die Elternbeiratsvorsitzende Erdmann war früher selbst auf einer Waldorfschule, und daher weiß sie, wie die Menschen damals auf das Konzept reagierten: "Natürlich waren die meisten immer erst skeptisch", sagt sie. Das sei aber längst nicht mehr so, sagt Leiterin Hertel: "Uns kommt eher Interesse und Neugier entgegen."

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