Aktion "Jeder Quadratmeter zählt":Evolution vor der Haustür

Aktion "Jeder Quadratmeter zählt": Brachvögel bei Sonnenaufgang im Isental: Mit der Entwässerung des Dorfener Mooses nahm die Zahl dieser Vögel ab.

Brachvögel bei Sonnenaufgang im Isental: Mit der Entwässerung des Dorfener Mooses nahm die Zahl dieser Vögel ab.

(Foto: Andreas Hartl (OH))

Natur verändert sich rasant, das dokumentiert Andi Hartl in einem Fotovortrag. Viele Arten verschwinden, andere kommen mit den neuen Bedingungen dagegen gut zurecht. Ein Rückblick auf 75 Jahre Artenvielfalt im Isental.

Von Thomas Daller, Dorfen

Der Fachmann staunt, der Laie wundert sich: Es gibt im Landkreis tatsächlich bereits eine Kolonie der mediterranen Bienenfresser, auch der scheue Pirol wird vereinzelt gesichtet. Der sehr seltene und hochgiftige Ölkäfer wuselt durch die Wiesen im Isental und wie der Aronstab Insekten überlistet, ist eine geniale Strategie dieser Pflanze. Andreas Hartl hat bei seinem Fotovortrag im Jakobmayer gezeigt, welche Wunder der Natur das Isental bereithält.

"Arche Noah für die Natur - kleine Wunder der Evolution vor der Haustür", lautete das Thema eines Fotovortrags, den Hartl bei einer gemeinsamen Veranstaltung von Bund Naturschutz, Landesbund für Vogelschutz und örtlichem Imkerverein im Jakobmayer gehalten hat. Es war überraschend, welche Gewinner und Verlierer der Klimawandel in diesem Naturraum erzeugt, welche Strategien Tiere und Pflanzen anwenden, um sich fortzupflanzen oder zu überleben. Hartl begleitete seinen Vortrag mit einer Fülle überragender Fotos, die veranschaulichten, warum er zu den besten Naturfotografen Deutschlands gezählt wird.

Das Interesse war groß, nur wenige Plätze im Saal blieben leer. BN, LBV und Imker nutzen die Aufmerksamkeit, um für ihr gemeinsames Projekt "Jeder Quadratmeter zählt" zu werben. Dabei geht es darum, naturnahe Flächen in Gärten anzulegen und so einen weiteren Biotopverbund zu schaffen. "Es ist keine Lösung, den Landwirten die ganze Verantwortung für die Natur zu überlassen. Das geht vor der eigenen Terrassentür los", betonte Rita Rott.

Hartl kleidete den Vortrag in eine Zeitreise. Er begann mit Erlebnissen bei Streifzügen durchs Isental in seiner eigenen Kindheit, welche Veränderungen sich bereits zeigten, als er diese Ausflüge mit seinen Kindern wiederholte und welche Situation man heutzutage vorfindet.

Aktion "Jeder Quadratmeter zählt": Sogar Barben stiegen früher in großer Zahl vom Inn in den Oberlauf der Isen auf, um dort zu laichen.

Sogar Barben stiegen früher in großer Zahl vom Inn in den Oberlauf der Isen auf, um dort zu laichen.

(Foto: Andreas Hartl (OH))

Was muss die Isen für ein prachtvoller Fluss gewesen sein, als Hartl als Kind noch darin herumstapfte: Flusskrebse konnte man kübelweise fangen, Bachmuscheln waren so zahlreich, dass man das Hühnerfutter damit veredelte. Bekannt ist, dass Nasen zu Tausenden durch Dorfen schwammen, um am Oberlauf der Isen zu laichen. Aber nur wenige wissen, dass selbst Barben in großer Zahl vom Inn in die Isen aufstiegen und dort Laichwanderungen unternahmen. Barben, diese muskulösen Schwimmer, die sich in starker Strömung am wohlsten fühlen. Vorbei, seit Wehre und Kleinwasserkraftwerke ohne Fischtreppen errichtet wurden.

Artenvielfalt ging auch verloren, als das Dorfener Moos entwässert wurde. Vorher konnten Brachvögel mit ihren langen gebogenen Schnäbeln im weichen Boden nach Würmern graben, danach war der trockene Humus zu hart dafür. Kleingewässer wie Wiesenseigen verschwanden und mit ihnen Urzeitkrebse, von denen es nun aktuell nur noch drei Fundorte in Bayern gibt. Seit Millionen Jahren lebten sie in temporären Gewässern, ihre Eier konnten 50 Jahre Trockenheit überstehen, bevor sie wieder zum Leben erwachten.

Auch viele Löschweiher, die früher bei den Bauernhöfen angelegt wurden, verschwanden - und mit ihnen zahlreiche Amphibien wie Teichfrösche und Wasserfrösche, Bergmolche und Teichmolche. Sogar Feuersalamander hat es früher im Isental gegeben.

Den Wiesen im Isental ging es nicht besser: Hartl dokumentierte mit seinen Fotos, dass es früher sogar zahlreiche Orchideenwiesen gab. Auf anderen wuchsen viele Wildblumen und Kräuter, sodass dort spezialisierte Schmetterlingsarten überleben konnten. Diese Magerwiesen verschwanden mit der Überdüngung durch Gülle.

Aktion "Jeder Quadratmeter zählt": Der Aronstab ist ein Wunder der Evolution: Die Pflanze kann sich auf 37 Grad Celsius erwärmen und den Geruch eines Kuhfladens imitieren.

Der Aronstab ist ein Wunder der Evolution: Die Pflanze kann sich auf 37 Grad Celsius erwärmen und den Geruch eines Kuhfladens imitieren.

(Foto: Andreas Hartl (OH))

Zumindest in den Auwäldern finde man noch wahre Wunder der Natur wie den Aronstab: Diese Pflanze wird von Mistfliegen bestäubt. Um sie anzulocken, verströmt der Aronstab den Geruch eines frischen Kuhfladens. Und nicht nur das: Es gelingt der Pflanze, sich während der Bestäubungszeit auf eine Temperatur von 37 Grad Celsius aufzuheizen; der Temperatur eines frischen Kuhfladens. Eine evolutionäre Meisterleistung.

Gülle, Pestizide und Monokulturen sind laut Hartl eine der Hauptursachen für das Verschwinden der Artenvielfalt. "Der Wandel in der Landwirtschaft hat zu einer völligen Veränderung der Natur geführt. Die Landschaft verarmt und hat an Erlebniswert verloren." Allerdings sei es zu einfach, die Landwirte als Schuldige zu benennen. Viele stünden unter enormem Druck der Agrarindustrie und der Landwirtschaftspolitik.

Auch für den Schutz der Bäche könnte man mehr tun, sagte Hartl. Sie würden als Kloaken missbraucht. "Wir bauen in Dorfen eine neue Kläranlage. In der Schweiz sind fünf Reinigungsstufen vorgeschrieben, in Deutschland nur drei." Begründet werde das mit den Kosten, die man über die Gebühren erhebe. Tatsächlich entstünden dabei nur Centbeträge, wenn man sie auf die einzelnen Bürger umrechne. "Das sollte es eigentlich wert sein, um die Bäche wieder in einen besseren Zustand zu versetzen."

Aktion "Jeder Quadratmeter zählt": Mediterrane Vogelarten wie der bunte Bienenfresser sind nun auch im Landkreis anzutreffen. Offenbar eine Folge des Klimawandels.

Mediterrane Vogelarten wie der bunte Bienenfresser sind nun auch im Landkreis anzutreffen. Offenbar eine Folge des Klimawandels.

(Foto: Andreas Hartl (OH))

Der Klimawandel wird weitere Veränderungen des Isentals mit sich bringen, prognostiziert Hartl. Viele kleine Bäche seien in den vergangenen Jahren in den Sommermonaten ausgetrocknet. Naturräume, die sich nicht wieder mit Leben füllen würden. An anderen Stellen wandern neue Arten zu wie der Seefrosch, der kleinere Froscharten wie Laubfrösche fresse. Auch bei den Vögeln sei der Wandel erkennbar: Eisvögel seien beispielsweise Gewinner, weil Bäche und Flüsse im Winter kaum noch zufrieren. Zugvögel aus dem mediterranen Raum wie der Bienenfresser kommen nun ebenfalls in den Landkreis. "Gar nicht weit von Dorfen befindet sich eine Kolonie", sagte Hartl. Auch der Pirol werde nun häufiger gesichtet.

Aktion "Jeder Quadratmeter zählt": Die Ringelnatter verfügt als eine von ganz wenigen Schlangen über einen Totstellreflex, wenn sie von Predatoren angegriffen wird. Gegen zunehmende Hitze und Trockenheit schützt sie das allerdings nicht.

Die Ringelnatter verfügt als eine von ganz wenigen Schlangen über einen Totstellreflex, wenn sie von Predatoren angegriffen wird. Gegen zunehmende Hitze und Trockenheit schützt sie das allerdings nicht.

(Foto: Andreas Hartl (OH))

Hartl gab sich dennoch als Optimist, dass man das Artensterben bremsen könne, wenn man sich gemeinsam mehr Mühe gebe. Zum Beispiel, indem man sich an der Aktion "Jeder Quadratmeter zählt" beteilige und Flächen für die Natur im Garten schaffe. Mit seinem Optimismus war er zumindest nicht allein: Die kostenlos angebotenen Päckchen mit Wildblumen-Samen für die Quadratmeter-Aktion waren am Ende vergriffen.

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