Süddeutsche Zeitung

SZ-Kulturpreis Tassilo:Kunst ist keine Privatsache

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Geraldine Frisch aus Isen ist nicht nur selbst in bemerkenswerter Weise künstlerisch aktiv. Mit ihren Initiativen schafft sie auch Aufmerksamkeit für andere Künstlerinnen und Künstler.

Von Florian Tempel, Isen

Für viele ist Kunst Privatsache, was denn sonst. Viele meinen, Künstlerinnen schaffen ihre Werke aus sich heraus und verwirklichen sich dabei. Manche verdienen damit Geld, andere nicht. Kunst kann eben Beruf oder Hobby sein, was in jedem Fall aber auch zeigt, dass es eine private Angelegenheit ist. Eine dritte Überlegung in dieselbe Richtung: Wer glaubt, beim Kunstschaffen gehe es um die Verarbeitung innerer Zustände, kommt zu einem Kunstbegriff irgendwo zwischen Trieb und Therapie - privater geht es kaum.

Wenn man sich anschaut, wie Geraldine Frisch Kunst realisiert, kommt man erst ins Grübeln und erkennt dann verblüffend klar: Kunst ist alles andere als eine Privatsache. Und weil Geraldine Frisch, die in Isen lebt und arbeitet, auch in einer zweiten Hinsicht so überzeugend nach außen wirkt, indem sie mit ihrer Kreativität immer neue Aktionen und Plattformen erfindet, die anderen Künstlerinnen und Künstlern Platz und Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit geben, hat sie unbedingt eine Nominierung für den Tassilo-Kulturpreis des SZ verdient.

Dass sich Geraldine Frisch in mehr als einer Hinsicht für den öffentlichen Raum interessiert, liegt sicher auch daran, dass sie Architektin ist. Sie hat in Nürnberg zunächst Architektur studiert und anschließend dort ein Kunststudium absolviert. Dass Kunst mitten ins öffentliche Leben gehört, ist ihr ein wichtiges Anliegen und ein Gewinn für andere. Sie hat das Isental Open Art-Wochenende initiiert, bei der jedes Jahr Künstlerinnen und Künstler im östlichen Landkreis Erding ihre Werkstätten für Besucher öffnen. Sie hat während der Pandemie in Isen die Aktion "Kunstanschlag" organisiert, bei der die kommunalen Ankündigungstafeln zu Kunstschauplätzen wurden - worauf ein Kunsthasser die Werke absichtlich zerstörte. Sie hat zum 1275-Jahre-Isen-Jubiläum einen Kunst- und Literaturwettbewerb realisiert, der mit großartigen Beiträgen überzeugte. Sie hat auch den Abriss eines historischen Gebäudes in Isen verhindert, das nun zum Bürgerhaus wird. Außerdem ist sie als Musikerin aktiv und hat mit Georg Karger, Roland Biswurm und Roald Raschner als Cheraleen & Die Goldstücke drei Alben aufgenommen.

Geraldine Frischs künstlerische Arbeiten sind sehr unterschiedlich und vielseitig. Es geht um Flächen und Farben, Licht und Schatten, Strukturen und Bewegungen - gemalt, fotografiert oder gefilmt. Vieles scheint bei ihr vor allem auf formaler Ebene stattzufinden. Doch das ist nur ein erster Oberflächen-Eindruck. Ihre Arbeiten behandeln vielmehr reale Wirklichkeit, die nur durch den ungewohnten Fokus verfremdet erscheint.

Die Welt aus einem nicht alltäglichen, kurios-neugierigen oder unpragmatischem Gesichtspunkt zu sehen, macht sie nicht künstlich. Die echte Welt da draußen bleibt dieselbe, der Betrachter der Objekte, Fotografien und Videos von Geraldine Frisch bekommt sie aber auf unerwartete und anregende Art vermittelt. Ihre Kunst ist somit weder ihr Privatvergnügen, noch das des Betrachters. Ihre Kunst entsteht durch Kooperation, indem man gemeinsam einen neuen Blick auf die Realität wirft.

In der eingeschränkten Wirklichkeit der Corona-Pandemie entstanden Arbeiten, die deutlich machen, wie stark Geraldine Frisch auf diese Art von Interaktion setzt. In ihrer Serie "Identity Playground" hat sie sich selbst fotografiert, mit verschiedenen netzartigen Geweben über dem Kopf. Die Fotos waren dann ihr Beitrag zu einer Ausstellung mit dem programmatisch-poetischen Titel "No human is an island" in Fürstenfeldbruck. "Kein Mensch ist eine Insel", ist die erste Zeile aus einem Gedicht von John Donne.

Eine andere Arbeit aus der Pandemie-Zeit ist die auf Video festgehaltene Performance "My Kloporona" auf dem grünen Hügelchen eines Kreisverkehrs bei Oberneuching. Es ist eine von mehreren dadaistischen Kreisel-Performances, die sie unter dem Namen Paul McCircle veröffentlicht. Geraldine Frisch war spontan, mit ihren Hund und unzähligen Klopapierrollen losgefahren, um mitten im härtesten Lockdown mitten in einem Kreisverkehr - der absurdesten Art des öffentlichen Raums - öffentlich zu agieren. Man sieht sie Zeitunglesen, mit dem Hund spielen, sie liegt in der Sonne, sie rollt lange Klopapierschlangen ins grüne Gras. Darf man das?

Natürlich, doch man muss sich dazu trauen, so wie Geraldine Frisch, die auch schon oft mit starkem Gegenwind zu tun gehabt hat. Denn das sie Kunst nicht als Privatsache sieht, sondern als Teil des realen und gemeinschaftlichen Lebens, passt nicht jedem.

Bis Mitte Februar stellen wir Ihnen Kandidatinnen und Kandidaten für den Tassilo-Kulturpreis 2023 vor. Alle Nominierten finden Sie unter sz.de/tassilo.

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