SZ- Interview:"Es wird schlimm werden, befürchte ich"

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Eva Kolenda hat 30 Jahre lang den von ihr gegründeten Mieterverein geleitet. Jetzt hat sie das Zepter an Frederic Hack übergeben. (Foto: Renate Schmidt)

Wachwechsel beim Erdinger Mieterverein: Auf die Gründerin Eva Kolenda folgt als Vorsitzender Frederic Hack. Damit geht nach 30 Jahren eine Ära zu Ende. Die Aufgaben und Probleme sind unterdessen nicht weniger geworden.

Interview von Gerhard Wilhelm, Erding

30 Jahre lang stand Eva Kolenda an der Spitze des von ihr auch gegründeten Erdinger Mietervereins. Jetzt hat sie das Zepter an den Rechtsanwalt Frederic Hack übergeben. Dem Verein wird sie aber weiter mit Rat und Tat zur Verfügung stehen. Ihr Nachfolger ist kein Unbekannter. Er war bisher Beisitzer im Vorstand und berät seit vielen Jahren die Mitglieder bei Problemen mit dem Vermieter.

Frau Kolenda, erinnern Sie sich noch, wie alles vor 30 Jahren anfing?

Eva Kolenda: Meine Ehe war damals beendet und ich bin in den ersten fünf Jahren meines Alleinseins vier Mal umgezogen. Dadurch habe ich vier verschiedene Vermieter kennengelernt und damit auch die Sorgen eines Mieters erlebt. Dann habe ich angefangen zu suchen. Wer hilft mir? Wer macht was? Und dann habe ich den Verein gegründet. Die ersten Beratungen waren bei mir im Wohnzimmer und die Leute standen im Treppenhaus. Das war der Anfang. Ich habe mir ein Lexikon zum Mietrecht gekauft und habe gelesen, gelesen und gelesen. Ein Jurist im Landesverband hat mir immer gesagt: Du bist eigentlich eine Rechtsanwältin.

"Mein größter Erfolg war die Anerkennung vom Deutschen Mieterbund in Berlin"

Wenn Sie 30 Jahre zurück blicken: Was war Ihr größter persönlicher Erfolg?

Kolenda: Mein größter Erfolg war die Anerkennung vom Deutschen Mieterbund in Berlin. Das hat unheimlich gut getan, dass so ein kleiner Verein wahrgenommen und auch noch gelobt wird. Ich bin auch froh, dass wir einen Mietspiegel haben. Das hat neun Jahre gedauert, bis ich den im Stadtrat durchgesetzt habe und erst, nachdem Max Gotz Bürgermeister geworden ist. Wichtig ist, dass der immer aktualisiert wird. Schlimme Ereignisse gab es aber auch immer wieder. Zum Beispiel mit jemanden, der von Anfang an dabei war. Der hat nämlich mehr geschadet als geholfen. Dann hab ich ihn rausgeschmissen.

Die Mieterprobleme von früher, sind das auch die Probleme von heute noch?

Kolenda: Das größte Problem war und ist, dass wir nicht genügend Wohnungen haben. Ein zunehmendes Problem ist, dass Menschen, die in Rente gehen, sich die Miete in Erding nicht mehr leisten können und wegziehen müssen, wo es günstiger ist. Wir haben sogar Leute, die sitzen jetzt in Schleswig-Holstein am Meer in einer kleinen Kate, weil das immer noch günstiger ist, als im Gürtel um München. Und jetzt kommen dazu die ganzen Energie-Preiserhöhungen. Ich rechne damit, dass wir bei den Nebenkostenabrechnungen nächstes Jahr böse Überraschungen erleben werden. Das Ziel muss sein, Kündigungen zu verhindern. Besser sind Ratenzahlungen. Und wenn es drei Jahre dauert. Wenn jemand nur 1200 Euro hat, ja, wo soll er es hernehmen?

Herr Hack, Sie treten in große Fußstapfen.

Frederic Hack: Ich bin ja nicht ganz neu, sondern auch schon seit über 20 Jahren bei der Rechtsberatung. Und viele Jahre im Vorstand, so dass ich schon immer mal rein fühlen konnte. Das ist jetzt anders, als wenn man als völlig Unbeteiligter in so einen Verein kommt. Ansonsten sind die Fußstapfen persönlich durch die Eva geprägt und ich muss sehen, wie ich da reinwachse. Aber dadurch, dass ich die Mitglieder und auch alle anderen gut kenne und wir schon lange ein kollegiales Miteinander pflegen, ist das jetzt eigentlich weniger mein Problem.

"Unsere nächste Aufgabe wird die Konversion vom Fliegerhorst sein"

Was sind Ihre nächsten Aufgaben nach der Ära Kolenda?

Hack: Unsere nächste Aufgabe wird die Konversion vom Fliegerhorst-Gelände sein. Wir müssen dort möglichst viel Platz für Sozialwohnungen oder für Mehrgenerationenhäuser und Ähnliches ausweisen. Oder auch Einheimischenmodelle, auch wenn die bisher nicht so recht klappten, weil die dann doch sehr teuer wurden. Die Leute sollen ja bleiben, vielleicht kann man was auf Erbpacht machen. Aber man kann keine Baugebiete ausweisen und dann entstehen da immens teure Objekte, so wie beim Poststadel, die als Schnäppchen angeboten werden, wo ein Reihenmittelhaus aber mehr als eine Million Euro kostet.

In Erding entsteht ein komplett neuer Stadtteil: Auf dem 365 Hektar großen Areal des Fliegerhorstes. (Foto: Renate Schmidt)

Gibt es schon Gespräche mit der Stadt Erding?

Hack: Die haben wir jetzt dann geplant, aber ich denke, das hat die Stadt grundsätzlich auch ein bisschen auf dem Schirm. Aber unser Ziel muss sein, dass nicht nur ein paar Alibi-Feigenblättchen entstehen, da muss großflächiger ausgewiesen werden.

"Bei der drängenden Wohnungsnot müssen wir alles prüfen"

Es fehlen ja überall Wohnungen. Müssen die Kommunen mehr Flächen für Wohnbebauung ausweisen?

Hack: Das stimmt. Der Mieterverein sieht aber schon auch die ökologischen Aspekte. Man muss versuchen, neu zu denken. Es gibt in Erding zum Beispiel diesen Tiny House-Verein. Man muss nicht immer nur Grundstücke ausweisen. Es gibt auch Garagenhöfe und vielleicht Leute, die sagen, ich bin bereit, dass jemand ein Tiny House drauf baut. Die Frage ist, ob das dann genehmigt würde. Oder jemand sagt, er könnte in seinem Garten noch ein Modul anbauen. Es gibt bestimmt noch andere pfiffige Möglichkeiten - und man kann so ein bisschen Nachverdichtung schaffen. Das große Problem ist, dass dann weitere Stellplätze nachgewiesen werden müssen. Das müsste man irgendwie anders lösen können. Bei der drängenden Wohnungsnot müssen wir alles prüfen.

Das heißt, man muss sehr dicke Bretter bohren?

Kolenda: Absolut. Das Problem war eigentlich schon so vor 30 Jahren.

Also ist die grundsätzliche Frage: Wie bekommen wir genug Wohnraum?

Hack: Neue Wohnungen zu bauen, das ist halt jetzt auch unheimlich teuer. Also wenn ich mir vorstelle, ich wäre ein Investor und will Mietwohnungen bauen, kann man dies fast gar nicht mehr realisieren, dass sich das irgendwie trägt.

"Um eines klar zu stellen: Wir machen keinen Klassenkampf"

Herr Hack, in den Rechtsberatungen, die Sie durchführen, was haben Sie da erlebt?

Hack: Die allermeisten Vermieter sind ganz nett. Um eines klar zu stellen: Wir machen keinen Klassenkampf oder sagen: Vermieter sind grundsätzlich böse. Viele haben ein soziales Gewissen. Aber ab und zu gibt es Vermieter, die versuchen, das Maximum auszureizen. Nach meiner persönlichen Erfahrung ist das oft die Erbengeneration. Also nicht jetzt der Opa, der das Ding noch mit eigenen Händen hochgezogen hat, sondern der Enkel. Da verschärft sich manchmal der Umgangston. Es gibt natürlich aber auch Vermieter, die möchte ich auch nicht in meiner Wohnung haben. Das muss man ehrlich sagen.

Kolenda: Es gibt auch Vermieter, die beim Mieterverein anrufen und fragen, ob sie im Umgang mit ihren Mietern alles richtig machen. Schwarze Schafe gibt es aber leider auch überall.

Hack: Wenn ein Vermieter sein Geld mal nicht bekommt, dann ist das schlimm, aber für den Mieter steht immer mehr auf dem Spiel. Wenn der seine Wohnung verliert, ist es viel einschneidender. Deswegen ist der Mieter strukturbedingt der Schwächere. Die Menschen müssen sehen, dass wir nicht nur rein die Interessen der Mieter vertreten, sondern dass die Mieterinteressen auch von gesamtgesellschaftlicher Bedeutung sind. Erding ist eine Stadt, in der alles vertreten ist. Alte und Junge, Reiche, Urbayern und Zugereiste. Wenn sich Ältere dort das Wohnen nicht mehr leisten können und Jüngere auch nicht, wird sich das Gepräge der Stadt ändern und dann werden wir in Erding ein Problem haben, weil dann immer mehr Leute wegziehen. Dass das nicht passiert, sollte im gesamtgesellschaftlichen Interesse sein, und da sollten die anderen uns auch anhören. Noch gibt es in Erding keine richtigen Ghettos oder Reichenviertel, derzeit vermischt es sich. Der Mieterverein will nicht nur, dass Mieter eine geringe Miete bezahlen. Das ist nur ein Aspekt.

"Oberstes Ziel in dieser Situation ist, dass es nicht zu Kündigungen kommt"

Die Baupreise steigen, die Zinsen auch. In der Niedrigzinsphase haben es einige Mieter geschafft, zu Eigentum zu kommen. Das dürfte vorbei sein. Dazu steigende Energiekosten. Was kommt auf den Mieter zu?

Kolenda: Es wird schlimm werden, befürchte ich.

Hack: Auch ohne die steigenden Energiekosten steuert man auf ein Problem mit den Senioren zu, da tendenziell die Renten geringer werden. Mieten und Renten gehen immer mehr auseinander. In zehn, 15 Jahren leben zuletzt nur noch Senioren hier, die es irgendwie geschafft haben, sich Wohneigentum in ihrer Berufszeit noch zu erarbeiten oder geerbt haben. Alle anderen müssen wegziehen. Dann ist es nicht mehr die Stadt, die wir kennen und mögen. Und beim Thema Nachzahlungen wegen der Wärmekosten, müssen wir irgendwie versuchen, das menschlich zu lösen, was der Mieterverein im Regelfall auch bisher versucht hat. Keiner konnte vorher wissen, dass das so kommt mit dem Ukraine-Krieg und der Inflation. Oberstes Ziel in dieser Situation ist, dass es nicht zu Kündigungen kommt, sondern dass man irgendwie schaut, dass man Ratenzahlung vereinbaren kann, oder wo es Möglichkeiten gibt, Energie zu sparen.

Herr Hack, der Wechsel ist vollzogen, was steht in nächster Zeit an?

Hack: Die ehrenamtliche Tätigkeit steht insgesamt vor großen Problemen. Der Mieterverein ist groß und es fällt viel Arbeit an. Und diejenigen, die was tun, werden halt immer weniger. Das ist bei allen Vereinen so und wir müssen es irgendwie organisiert kriegen. Leider treten manche mit einem Servicegedanken an uns heran. Wenn dann irgendwas nicht klappt, dann werden manche zündig. Dann gibt es eine schlechte Google-Bewertung. Oder sie motzen die ehrenamtlichen Bürokräfte an, dass die irgendwie was nicht richtig machen. Dabei sitzen die in der größten Sommerhitze im Büro, ehrenamtlich, und hätten vielleicht auch was besseres zu tun, als sich dann anmotzen zu lassen.

"Bei uns sind alle ehrenamtlich tätig. Auch die Geschäftsführerin"

Ist auch die Geschäftsführerin, Gerda Kopp, nur ehrenamtlich tätig?

Hack: Auch sie ist ehrenamtlich tätig. Sie ist auch nicht als Geschäftsführerin ausgewiesen, sondern als zweite Vorsitzende, aber im Wesentlichen nimmt sie die Aufgaben einer Geschäftsführerin wahr. Sie ist nahezu täglich im Büro, so wie es die Eva Kolenda auch gemacht hat.

Kolenda: Am liebsten am Wochenende, da war Ruhe, um vieles aufzuarbeiten und E-Mails anzuschauen.

Hack: Bei dem geringen Beitrag, den die Mitglieder zahlen, sollte man sich eigentlich denken können, dass eine angemessene Vergütung oder das gesamtes Büro nicht getragen werden kann. Die nächsten paar Jahre ist das Team fest, aber wie es in zehn Jahren oder so aussieht oder sogar schon in fünf ist offen. Wenn dann einer ausfällt oder eine sagt, ich will nicht mehr, dann ist es eigentlich unmöglich, jemanden zu findet der sagt okay, dann mache ich es an deiner Stelle.

"Als Ehrenvorsitzende ist sie bei uns natürlich weiter herzlich willkommen"

Frau Kolenda, sind Sie jetzt schon Privatmensch nur noch?

Kolenda: Ich möchte noch mal mit dem OB reden, ob er nicht mal meinen Nachfolger kennenlernen möchte. Ich muss auch noch aufräumen, vor allem in mir drinnen. Und dann erst bin ich ganz privat und dann fällt mir vielleicht die Decke auf den Kopf.

Hack: Als Ehrenvorsitzende ist sie bei uns natürlich weiter herzlich willkommen. Das haben wir extra eigens so gemacht. Natürlich werde ich ihren Rat dann immer noch einholen. Vom Standing in der Öffentlichkeit wird der Mieterverein weiter mit der Eva verbunden sein, bis die Leute mal mitkriegen, dass ich der neue Vorsitzende bin.

Kolenda: Schaugn mer mal.

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