Der Weihenstephaner Mikrobiologe Mathias Hutzler verbringt viel Zeit in Büro und Labor. Der 46-Jährige geht aber auch leidenschaftlich gern auf die Jagd. Auf Hefe-Jagd, ganz ohne Waffen. In alten Brauereien, in Kellern, aber auch in der Natur sucht er nach Hefepilz-Stämmen. Zuletzt war er mit einem kleinen Team eine Woche lang im Baskenland unterwegs.
Malz, Hopfen, Hefe und Wasser, mehr darf nicht ins deutsche Bier. Dennoch lassen sich damit überraschend vielfältige Geschmacksnoten erzeugen. Während über den Einfluss von Hopfen und Malz auf das Aroma viel gefachsimpelt wird, führt die Hefe eher ein Schattendasein. Doch Mathias Hutzler, stellvertretender Leiter des Forschungszentrums für Brau- und Lebensmittelqualität an der TU München (TUM), tut viel dafür, dass sich das ändert.
Hefe hilft bei der Gärung und wandelt Malzzucker in Alkohol und Kohlensäure um. Die Rolle der Mikroorganismen beim Brauen, aber auch beim Herstellen fermentierter Getränke hat Hutzler schon als Doktorand interessiert. 2009 baute er die Abteilung „Mikrobiologie und Hefezentrum“ am Forschungszentrum neu auf. Davon profitiert nicht nur die Wissenschaft, sondern auch die Praxis. „Wir verkaufen Hefe an circa 1000 Brauereien weltweit“, sagt Hutzler.
Er bedauert, dass im Brauprozess, wie in so vielen anderen Bereichen, die Vielfalt verloren gegangen ist. Seit 1883 und insbesondere seit Ende des Zweiten Weltkriegs werden vor allem sogenannte domestizierte Hefen verwendet, sie ersetzten wilde Hefe-Mischungen. Die Arbeit mit nur einigen wenigen Reinzucht-Stämmen machte den Gärprozess berechenbarer, wie Hutzler erklärt. Zum Brauen untergäriger Biere wie Helles oder Pils seien etwa zehn Hefen übrig geblieben – „alles Hochleistungsstämme, super robust, mit einer Super-Performance“, sagt der Experte. Aber eben weniger spannend und vielseitig als wilde Hefestämme. Hutzler möchte mit seiner Arbeit erreichen, dass auch der Hefe bei der Konzeption neuer Biere mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird.
Auf den Regalen seines Büros in der Alten Akademie am Weihenstephaner Berg stehen einige Bier-Raritäten. Den Bügelverschluss-Flaschen sieht man an, dass sie nicht erst gestern abgefüllt wurden. Weiße Verkrustungen zeugen davon, dass sie wohl in irgendwelchen Kellern lange Zeit vergessen wurden. In seiner Habilitationsschrift beschreibt Hutzler, dass er eine Hefe aus einer etwa 70 Jahre alten Flasche isoliert habe. Es ist die bisher älteste Probe aus einer Flasche, die am Forschungszentrum für Brau- und Lebensmittelqualität untersucht wurde. Mit zunehmendem Alter des Hefestamms werde es aber schwierig, die Mikroorganismen zu aktivieren.
Der Weihenstephaner Hefe-Spezialist fokussiert sich bei seiner Detektiv-Arbeit aber nicht nur auf alte Flaschen, sondern forscht auch in verlassenen Bierkellern und historischen Brauereien. Ein wichtiger Impuls für ihn, selbst auf die Suche zu gehen, war eine Nachricht, die 2011 in Fachkreisen Aufsehen erregt hatte. In Argentinien war einer der beiden Vorfahren der untergärigen Brauhefe, wie sie auch in Europa verwendet wird, entdeckt worden. „Das hat mein Interesse geweckt“, sagt Hutzler. Der kältetolerante Saccharomyces eubayanus wächst in Patagonien in Buchenwäldern.
Wie er nach Europa gelangte, ist noch immer unklar. Hier wurden wilde Varianten dieses Hefestamms erstmals 2022 zufällig in Bodenproben gefunden, die am Campus in Dublin genommen worden waren. In Bayern aber, im Land des Bieres, gibt es noch keine entsprechenden Nachweise. Es ist ein spannendes Puzzle, in dem noch sehr viele Teile fehlen.
2016 begab sich Mathias Hutzler erstmals selbst auf die Suche nach älteren Hefen, zunächst in bayerischen Bierkellern. Sein Ziel dabei ist, auf alte Stämme aus der Zeit vor 1883 zu stoßen, bevor sich die domestizierten Hefen allmählich durchsetzten. Einige Brauereien, wie „Freibier“ in Regensburg, experimentieren bereits mit wilder Hefe. Sie hat ein leichtes Bier gebraut, dunkel, mit einer „sehr kernigen Note“, schildert Hutzler. Noch ist das aber die Ausnahme.
Das Baskenland war immer sehr abgeschieden, das macht es für die Forscher interessant
Bei der Ausrufung des Reinheitsgebots 1516 wurde die Hefe noch nicht explizit erwähnt. Erst mit Erfindung des Mikroskops um 1600 habe man die Strukturen gesehen und dass sich etwas bewegt, erklärt er. „Das Wissen darum ist aber viel älter.“ Schon in der Antike sei das Phänomen der Gärung in Rezepten beschrieben worden, ohne zu wissen, dass es sich um Mikroorganismen handelt. Auch die Kelten vertrauten der Spontangärung durch wilde Hefestämme. Die Gärung stellte sich durch Hefe-Verunreinigungen an Gefäßen, Rührern und Schöpfkellen aus Holz ein, erklärt Hutzler. Wilde Hefen könne man fast überall in der Natur entdecken, auch auf Bäumen, insbesondere an der Rinde. In Götterhainen, wo diverse Gebräue hergestellt wurden, finde man eigentlich immer Eichen.
Was macht nun gerade das Baskenland so interessant für die Hefejagd in der Natur? Es „war immer sehr abgeschieden“, erklärt Hutzler. „Wir suchen Hotspots, die relativ naturbelassen sind.“ In Deutschland sei das schwierig. In sieben Nationalparks nahm das Team Proben, 40 Hefen wurden nach seinen Worten zunächst in einem Forschungsinstitut in Valencia untersucht. Weiterführende Analysen können dann in Weihenstephan stattfinden. „Wir haben das Know-how und die Maschinen, um die Hefen zu isolieren und zu identifizieren.“
Das Ziel sei letztendlich, mit den Basken ein regionales Bier zu brauen. Wie es schmeckt, wisse man allerdings erst, wenn man es ausprobiert. Interessant seien wilde Hefen für alkoholfreies oder leichtes Bier, auch für Bierspezialitäten oder Saison-Biere würden sie oft verwendet. „Es gibt wieder mehr Geschmack“, sagt Hutzer sichtlich erfreut. „Die Kollegen vom Hopfen waren schon wesentlich aktiver.“ Hefe dagegen sei bisher stiefmütterlich behandelt worden, um Biere zu kreieren.
Etwa zehn Brauereien produzieren dieses Jahr Bier aus wilden Hefestämmen
Hutzlers Idee ist, eine Kartei mit Anhaltspunkten für Brauer zu erstellen, „sie können Bier dann am Reißbrett entwickeln“. Der Interessentenkreis ist bisher klein, etwa zehn Brauereien hätten dieses Jahr Bier aus wilden Hefen hergestellt. Durch das Projekt Hefejagd gebe es bisher etwa 15 Stämme, „die richtig gut charakterisiert sind“.
Auf der Internetseite des Hefezentrums liest sich das dann so: „Quercus – TUM 628“, Hefeisolat von einer Eichenrinde. Geschmack: rein, Spur fruchtig, Spur Orangennote verbunden mit leichter Nelke, schlank mit vollmundigem Abtrunk, angenehm rezent, leichte Bittere, die im Abtrunk betont ist“. Der größte Teil der 2000 bei diversen Suchaktionen entdeckten Stämme aber wird laut Hutzler rein wissenschaftlich genutzt.
Trotz seiner Funktion als stellvertretender Institutsleiter versucht Mathias Hutzler, mit den Hefejagden weiterzumachen. Für ihn ist das auch eine Möglichkeit, „in der Zeit zurückzublicken“.