Süddeutsche Zeitung

Hochbetrieb:Run aufs Rad

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Einen solchen Kundenansturm haben die Händler im Landkreis noch nicht erlebt. Etliche Modelle sind nicht mehr zu haben. Vor allem E-Bikes sind der Renner. Der Vorsitzende des Erdinger Fahrradclubs hofft, dass die Begeisterung noch recht lange anhält

Von Regina Bluhme, Erding

Karl Pfeiffer hat vor 16 Jahren sein Radsportgeschäft in Erding eröffnet. Aber so einen Kundenansturm wie in den vergangenen Wochen hat er noch nicht erlebt. Als sein Laden nach dem Corona-Lockdown wieder öffnen durfte, standen die Menschen Schlange. Nicht nur bei Radsport Pfeiffer. Während des Corona-Lockdown haben nicht wenige ihre Liebe zum Fahrrad entdeckt. In den Werkstätten, die während der Pandemie weiter arbeiten durften, herrscht auch jetzt Hochbetrieb. Sie bekommen nun plötzlich Räder zum Instandsetzen vorbeigebracht, die zuvor jahrelang im Keller herumgestanden sind.

"Seit wir am 27. April wieder öffnen durften, arbeiten wir non-stop durch", sagt Gerhard Mayr, Inhaber des gleichnamigen Fahrradhandels aus Isen. Der Kundenansturm sei enorm, "egal, ob alte oder neue Radl", so Mayr. "Heuer ist der Ansturm extrem", sagt auch Peter Huber, Inhaber von Bike Service Huber in Dorfen. Der Absatz sei "gewaltig, wirklich gewaltig gestiegen". Er rechnet mit einem Plus von etwa 30 Prozent bei den Verkaufszahlen. Manche Radtypen, die er nicht auf Lager habe, könne er für diese Saison auch gar nicht mehr besorgen. Und bei den Ersatzteilen für die Reparaturen dauere die Lieferung auch länger als gewohnt. Wenn überhaupt etwas geliefert wird.

Auch Sebastian Kittlitz, Inhaber von Radhaus in Erding, hat einen "Wahnsinnsansturm" hinter sich, mit Abenden, an denen er bis 23.30 Uhr im der Werkstatt gestanden hat. Einige Modelle seien im Moment einfach nicht mehr zu haben, sagt auch er. Die Nachfrage sei nach oben geschossen, aber Hersteller produzieren nur nach Vororder des Einzelhandels und nicht auf Verdacht, und für eine Nachproduktion wäre es wegen der Grenzschließungen aufgrund der Pandemie ohnehin schwierig geworden. Manche Ersatzteile seien inzwischen schwer oder kaum zu bekommen. "An einem Radl ist inzwischen bald jeder Kontinent beteiligt", erklärt Peter Huber: Die Reifen kommen aus Indonesien, die Sättel aus Italien, die Akkus der E-Bikes aus Polen, der Rahmen aus Singapur, und erst in Deutschland werden die Einzelteile zusammengebaut.

Das Lager von Radsport Pfeiffer ist eigentlich gut gefüllt, sagt Karl Pfeiffer. Bei einigen Modellen muss aber auch er mittlerweile passen. Weil auch in der Werkstatt ein enormer Andrang herrscht, kommen er und seine Mitarbeiter im Moment kaum dazu, die Räder auf Lager zusammenzubauen. Fürs Zusammenbauen und fürs Reparieren müsse er des öfteren "eine Nachtschicht reinhauen". Inzwischen ist es auch so, dass für die Reparatur nur noch Räder angenommen werden, die auch bei Pfeiffer gekauft wurden. "Wir schaffen die Arbeit sonst nicht mehr", sagt der Inhaber. Viel Arbeit habe es zu Beginn der Radlsaison ja immer gegeben, "aber dieses Jahr ist es schon extrem". Die Kundschaft müsse Wartezeiten in Kauf nehmen, weil sich wegen der Abstandsregeln nur eine bestimmte Personenanzahl im Laden aufhalten darf. Da sei es schon zu Warteschlangen gekommen, erklärt der Erdinger Fahrradhändler. Die Kunden hätten aber sehr viel Verständnis gezeigt. Vielleicht balle sich ja grade alles, weil während des Corona-Lockdown fünf bis sechs Wochen gar kein Radl verkauft werden konnte, so Pfeiffer.

Den Trend zum Fahrrad gibt es schon seit Jahren, da sind sich alle befragten Händler einig. Gerade während der Corona-Pandemie ist das Radeln aber noch für viel mehr Menschen attraktiv geworden, denn auch während des strengsten Lockdowns war es erlaubt, damit herum zu fahren. "Man konnte ja draußen fast nichts anderes machen", so Pfeiffer. Nicht wenige hätten sich an ihr altes Fahrrad im Keller erinnert und es auf Vordermann bringen lassen. Kittlitz kennt das: "Der Klassiker". Er habe Kunden, die schon fünf oder sogar zehn Jahre nicht mehr auf dem Rad gesessen seien, sagt Peter Huber. Aber zum Glück verlerne man das Radfahren nicht, "das ist wie beim Schwimmen".

Huber hat von einigen Kunden auch gehört, dass sie künftig mit dem Rad zur Arbeit fahren wollen. Und er hat noch eine weitere Erklärung für den guten Absatz: Viele würden dieses Jahr nicht in Urlaub fahren, weil es ihnen wegen Corona zu riskant ist. "Und die sagen dann: Von dem gesparten Geld kauf mich mir ein gescheites Rad." Und ein gescheites Rad sei für viele Kunden ein E-Bike. Auch immer mehr Jüngere steigen auf ein Pedelec um.

"Mit großem Wohlwollen" beobachte er den Trend zum Fahrradfahren, sagt Horst Weise, Kreisvorsitzender des Allgemeinen Deutschen Fahrradclubs (ADFC). Bei Touren habe er während des Lockdown bemerkt: "Da kamen zehn Radfahrer auf einen Autofahrer. Sonst ist das Verhältnis ja umgekehrt." Er glaubt schon, dass viele dem Rad treu bleiben werden.

"Es macht einfach Spaß und man kommt damit einfach am schnellsten und besten durch die Erdinger Innenstadt", sagt Sebastian Kittlitz. "Wenn nur die Hälfte von denen, die sich jetzt wieder fürs Fahrrad entschieden haben, dabei bleiben, dann hat die Corona-Aktion doch auch etwas Gutes bewirkt".

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Quelle:
SZ vom 27.06.2020
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